Ein Körper, zusammengesetzt aus grotesken Einzelteilen. Eine Haut, übersät von Flicken und Narben. Mary Shelley erschafft 1818 in ihrem Roman Frankenstein ein Wesen, das bis heute weiterlebt: in Filmen, in Büchern, in der Popkultur. Shelleys Geschichte erzählt vom Erschaffen von Leben, aber noch mehr von der Angst vor dem Fremden.
Heute, zweihundert Jahre später, kehrt die Kreatur in ihrer neuesten Version zurück, verkörpert von Hollywood-Beau Jacob Elordi. Seit dem 17. Oktober 2025 bringt Regisseur Guillermo del Toro Frankenstein in ausgewählte Kinos und am 7. November auch bei Netflix an den Start. Del Toro besetzt Elordi nicht, um zu schockieren, sondern um zu zeigen, dass auch Perfektion fremd wirken kann.
Der mexikanische Filmemacher greift in seiner Neuverfilmung das auf, was ihn seit jeher fasziniert: Wesen, die andersartig sind. Monster, die fühlen. In seinen Filmen “Pan’s Labyrinth”, “Shape of Water”, “Hellboy” sind die wahren Monster selten die bizarren Gestalten, sondern die Menschen, die sie erschaffen oder nicht verstehen wollen.
Wie schon bei Shelley ist auch in del Toros Werk das Monströse kein Symbol für das Böse, sondern für das Missverstandene. Seine Kreaturen sind Projektionsflächen: zärtlich, verletzlich, zu viel für eine Welt, die sich vor dem Unbekannten fürchtet und selbst das Schreckliche darstellt. Damit stellt sich die alte Frage neu:
Wer macht hier eigentlich wen zum Monster?
Im Roman ist Frankensteins Geschöpf kein Monster, sondern ein Spiegel seiner Umwelt. Es wird nicht böse geboren, sondern durch Ablehnung deformiert. Innerlich wie äußerlich. Die Geschichte erzählt nicht vom Anderssein selbst, sondern von den Blicken, die es betrachten. Mary Shelley schrieb damit ein radikal modernes Narrativ: Wir erklären das zum Monster, was uns fremd erscheint und erschaffen es dadurch erst. Wir projizieren unsere Ängste auf das, was außerhalb der Norm liegt.
Auch heute funktioniert dieser Mechanismus. Gesellschaften formen ihr Selbstbild an marginalisierten Gruppen: Subkulturen, Queer Culture, Menschen mit Migrationshintergrund. Sie alle haben erfahren, was es heißt, beäugt, missverstanden und ausgegrenzt zu werden.
Schon immer entscheiden Gesellschaften auch über Schönheitsideale, was attraktiv, hässlich oder gar entstellt ist. Die Umgestaltungs- und Entsprechungsfantasien sind Teil von Beauty Culture geworden. Der eigentliche Horror des Romans, der aus Fragmenten konstruierte Körper, ist längst Realität. Wir optimieren uns in Teilen und erschaffen ein Ideal, das niemandem mehr gehört. Streben wir nach Perfektion oder bauen wir an unserem eigenen Monsterbild vom Menschen? Narben, Falten, Texturen werden gelöscht, weichgezeichnet, verdrängt, trotz Gegentrends wie Skin- und Body Positivity.
Guillermo del Toros Frankenstein ist vermutlich kein Horrorfilm im klassischen Sinn. Wie in all seinen Werken sind seine Monster verletzlich, poetisch, fast heilig. Sie sehnen sich nach Nähe, nach Zugehörigkeit. So wie wir alle. Del Toros Blick ist nie grausam, sondern zärtlich. Seine Kreatur wünscht sich eine Gesellschaft, die begreift, dass Nonkonformität kein Defekt ist, sondern eine Form von Freiheit.
Doch in einer Welt, die alles kategorisiert, verschwimmen die Zwischentöne. Wo bleiben die Grauzonen? Kultur scheint heute nur Extreme zu kennen: “soft and shiny” oder “dark and grotesque”. Das Spannendste aber liegt im Dazwischen, im Hybrid, im Unfertigen. Mode und Beauty wissen das längst. Collage, Layering, Patchwork. Identität als “work in progress”. Auch Frankensteins Monster ist eine Collage, unvollkommen, lebendig.
Und vielleicht erklärt genau das, warum wir so besessen sind von Dark Fantasy, Horror, aber auch Serien wie Bridgerton. Ob im Abgründigen oder im Überzuckerten, wir suchen Fluchtpunkte aus der Realität, Räume, in denen Gefühle größer, Körper schöner, Leben intensiver scheinen. Eskapismus hat viele Formen, aber immer dieselbe Sehnsucht: anderswo zu sein, mehr zu fühlen.
Frankensteins Kreatur will letztlich genau das, dazugehören, gesehen und geliebt werden. Vielleicht ist das die eigentliche Wahrheit der Geschichte: dass wir alle ein Stück von Frankensteins Kreatur in uns tragen: zusammengesetzt, suchend, nicht perfekt. Menschlich.