GANZ NAH DRAN

Unsere Haut ist Schutzschicht, Selbstausdruck und Projektionsfläche gleichermaßen. Doch kann ihre Pflege auch unser psychisches
Wohlbefinden beeinflussen? Wie weit kommt diese Form von Selfcare wirklich? Gemeinsam mit der Kosmetikwissenschaftlerin Rita J. Silva, Senior Science Communications Manager bei DECIEM (Muttergesellschaft von The Ordinary), gehen wir Schicht für Schicht an und unter die Haut.

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Haut hat über ihre Grundfunktion hinaus für alle Menschen eine andere Bedeutung. Sie kann ein Ort künstlerischer Selbstverwirklichung sein, permanent oder temporär. Gleichzeitig ist sie etwas, mit dem wir hadern und eine verletzliche Ober- und Projektionsfläche. Auch für die Hautexpertin Rita J. Silva gibt es verschiedene Layers. Die Kosmetikwissenschaftlerin möchte nach ihrem Masterabschluss in Cosmetic Science in London die Welt der Haut und ihrer Pflege entmystifizieren. „Für mich selbst waren Beautyprodukte, insbesondere Make-up, immer mehr eine Art Schutzschild und auch Mittel, um meine Identität auszudrücken. Pflege war in meiner Teenagerzeit überhaupt kein Thema.“ Erst später, als ihr Hautbild „uneben” wird, beginnt Silva Pflege auch als Selbstfürsorge zu begreifen, als einen „Moment der Ruhe und Introspektive“.

Mit einer durchschnittlichen Fläche von etwa 1,80 Quadratmetern ist die Haut das größte Organ unseres Körpers. Ihre äußerste Schicht, die Hautbarriere, schützt vor Umwelteinflüssen und besitzt die Fähigkeiten zur Selbstregeneration. Doch das Sinnesorgan ist ein feinfühliger Rezeptor, der fortwährend Reize aufnimmt, interpretiert und reagiert. Ob Inhaltsstoffe oder Emotionen: Wir nehmen die Welt buchstäblich mit der Haut auf. Dieser enge Kontakt zur Außenwelt spiegelt die starke Vernetzung von Hautwahrnehmung mit psychischen Prozessen, die auf unser Körpergefühl und Selbstwahrnehmung wirken. „Skincare hat mir geholfen, mich besser kennenzulernen, was einen positiven Einfluss auf mein Selbstwertgefühl hatte. Meine Routine ist heute ein Moment der Ehrlichkeit“, so Silva. Wie viele, deren Hautbild nicht dem vermeintlichen Ideal entspricht, hat sie jahrelang den Dialog mit sich selbst gemieden und sich hinter einer schmückenden Schutzschicht versteckt. Sie plädiert dafür, Haut nicht als Statussymbol und optimierungsbedürftige Oberfläche zu betrachten, sondern sich tatsächlich mit den zugrundeliegenden Mechanismen zu beschäftigen. Gerade das ungeschönte Antlitz erzählt von unserem Leben. Oder wie Autorin Toni Morrison es in „The Bluest Eye“ beschreibt: „Wir waren zu Hause in unserer eigenen Haut […] und hüteten unsere Narben wie Schätze.“

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Die Haut aber ist mehr als ihre Oberfläche. Wir müssen auch das darunter verstehen. Dieses Bewusstsein kommt in den Inhalten, die in sozialen Medien gezeigt werden, schlichtweg zu kurz. Silva sieht besonders übertriebene Reinigungsrituale als Gefahr: „Viele Menschen übertreiben es mit aggressiven Produkten, um eine glattere Haut zu bekommen. Dabei sind Pigmentflecken und Hyperpigmentierung eigentlich ein faszinierender Abwehrmechanismus, den unsere Haut als Schutzmechanismus bildet, wenn sie durch Wunden oder Pickel beschädigt wird.“ In der allgemeinen Wahrnehmung gelten diese Flecken als etwas, das verschwinden soll, doch der Schutz der Hautbarriere sollte essenzieller sein als Anti-Aging oder Produkte gegen ungleichmäßige Haut. Für die Expertin ist klar: „Es braucht mehr Transparenz und Wahrheit. Egal wie gut die Pflege oder das Treatment ist, Menschen haben Unebenheiten und altern. Das wird sich nie ändern.“ Bei all der körperpolitischen Tragweite wäre es also die logische Konsequenz, Skincare und die dazugehörigen Tools als Instrument der Selbstfürsorge statt Selbstoptimierung zu betrachten. Wer weiß, vielleicht lernen wir dabei auch das eine oder andere über uns selbst abseits von Spiegelbildern.

Während die Wirkung einer Hautpflege-Routine auf die psychische Gesundheit bislang kaum erforscht ist, ist der Zusammenhang zwischen psychischer Gesundheit und Hauterkrankungen deutlich besser belegt. Diese Beziehung funktioniert in beide Richtungen: Hautprobleme können unser psychisches Wohlbefinden beeinträchtigen, und psychischer Stress oder psychische Erkrankungen können Hautprobleme verschlimmern oder sogar auslösen. Psoriasis, atopische Dermatitis und Akne gehören zu den am besten untersuchten Beispielen. Laut der WHO ist psychische Gesundheit ein „Zustand des Wohlbefindens“, der es einer Person ermöglicht, „die eigenen Fähigkeiten auszuschöpfen“, „mit den normalen Belastungen des Lebens umzugehen“ und „produktiv zur Gesellschaft beizutragen“. Erst wenn kognitive, emotionale und soziale Faktoren eine Einheit bilden, sind wirbwirklich im Einklang.

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Um die Forschung zur psychischen Gesundheit zu unterstützen, hat DECIEM, die Muttergesellschaft von The Ordinary, gemeinsam mit dem Centre for Addiction and Mental Health (CAMH) 1 Million CAD für die „No One Left Behind“-Kampagne gespendet – die weltweit größte Fundraising-Initiative für klinisch basierte Forschung im Bereich psychischer Gesundheit. Mit „Belonging“ als Leitprinzip setzt sich DECIEM für eine Welt ein, in der jeder Mensch selbst sein kann, ohne Angst und ohne Urteil. Zudem fördert das Unternehmen auch Forschungsarbeiten von Graduierten an der University of Toronto zu den Schnittstellen zwischen Hautpflege und psychischer Gesundheit, mit besonderem Fokus darauf, wie Hauterkrankungen das psychische Wohlbefinden beeinflussen können.

Solche Tendenzen hält eine 2023 veröffentlichte Untersuchung der Stanford University ebenfalls für zukünftig möglich: Mithilfe elektronischer Haut, einer mit Sensoren ausgestatteten Nachbildung, wurde bewiesen, dass mechanische Stimulation, etwa durch Einmassieren von Produkten, elektrische Signale erzeugt, die das Nervensystem aktivieren und sich positiv auf das emotionale Empfinden auswirken. Die Vision wäre: Hautpflege als potenziell therapeutische Praxis zu nutzen, die weit über die Oberfläche hinaus wirkt. Deutlich greifbarer wird das, wenn wir bedenken, dass schon einfache Berührungen heilsame Hormone wie das Bindungshormon Oxytocin, das glücklich machende Dopamin sowie das stress- und schmerzregulierende Endorphin ausschütten. Alles Stoffe, die unsere Stimmung und körperliche Gesundheit positiv beeinflussen.

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Gleichzeitig ist es wichtig, die Grenzen der heutigen Kosmetikregulierung zu kennen: In Europa beispielsweise ist es laut Kosmetikverordnung untersagt, medizinisch-psychologische Zusammenhänge zu versprechen. Produkte dürfen offiziell nur der Verschönerung und Pflege dienen, obwohl die zugrundeliegende Wissenschaft zunehmend tieferes Wirken nahelegt. Die Forschung wie der regulatorische Rahmen befinden sich hier noch in einer frühen Phase, bestätigt Silva: „Es gibt kaum belastbare Studien, die Ernährung oder Pflege direkt mit Hautproblemen verknüpfen. Die bisherigen Erkenntnisse zeigen überwiegend, dass genetische Faktoren, Hormone und Stress die Hautgesundheit beeinflussen. Trotz gesellschaftlichem Druck und Marketing, das Betroffenen oft Schuldgefühle vermittelt, sind die meisten Hautprobleme von Faktoren abhängig, die wir kaum kontrollieren können.“ Gleichzeitig formen gesellschaftliche Erwartungen
unsere Wahrnehmung, genährt von verzerrten Realitäten wie Filtern und Idealbildern. Makel werden zu Störflecken, die dann wiederum negativ auf alle Facetten des mentalen Wohlbefindens wirken, bestätigt Silva: „Obwohl Kosmetik oft als oberflächlich und nur zur äußeren Verschönerung angesehen wird, ist es für viele, die unter Problemhaut und mentalem Stress leiden, der erste Schritt zur Selbsthilfe und -fürsorge.“ Einer davon kann die Macht des täglichen Rituals sein. Die spielen vor allem auch auf psychologischer Ebene eine wichtige Rolle, wenn es darum geht Stress und Emotionen zu regulieren oder Halt und Struktur inmitten von Unsicherheit zu geben.

Silva sieht genau hier das Potenzial von Hautpflege als Selbstfürsorge: „Im Prinzip lässt sich alles methodisch erforschen, etwa wie Produkte auf die Haut wirken.“ Gerade deshalb plädiert The Ordinary für mehr Aufklärung und Transparenz: Statt mit leeren Versprechungen zu werben, steht die klare Kommunikation über Inhaltsstoffe und deren tatsächliche Wirkung im Mittelpunkt. Silva erinnert zudem daran, dass bei aller Freude an Texturen, Düften und Ritualen nicht vergessen werden darf, dass Kosmetik auf Wissenschaft basiert. Selbst bei einfachen Produkten, wie Seren oder Cremes, sollten wir hinterfragen, was dahintersteckt. Dieses Wissen hilft zu entscheiden, wie konsumiert wird oder spiegelt einem selbst, wann ein Ritual zum Eskapismus wird und Pflege als Rückverbindung zu sich selbst praktiziert werden sollte. Bei der ganzen Suche nach dem großen „Warum“, sollten wir im Blick behalten, dass vieles am Menschsein über bloße Wissenschaft hinaus geht. Ob wir in den Spiegel unserer Befindlichkeiten blicken oder ihn lieber verhüllen: Vor unserer eigenen Wahrheit können wir uns nicht verstecken und nach Hilfe suchen und sie anzunehmen, ist immer der richtige Weg. Wir müssen nur erkennen, dass wir sie nicht in oberflächlicher Politur finden. Weder körperlich noch psychisch.

Text: FATIMA NJOYA
Foto: STILLS & STROKES
Realisation: EMRAH SEÇKIN
Liquid Design: GÉRALDINE JENNIFER HEEB

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