Die Hamburger Kunsthalle zeigt mit ihrer Event-Reihe „Salon”, wie Museen als Institutionen auch queere Positionen sichtbar machen können

Junge Familien mit Kids, Teenager, beste Freundinnen, Queers und Leute in Rente: An einem Donnerstagabend sitzen 70 Personen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, im Foyer der Hamburger Kunsthalle auf den für das Museum typischen Hockern und warten darauf, dass es losgeht: Es ist „Salon“-Zeit. Die Event-Reihe erweitert aktuelle Ausstellungen um queerfeministische Perspektiven und bietet Raum für Lesungen, Performances, Podiumsdiskussionen, Konzerte oder Workshops zu den Themen der jeweiligen Ausstellung. Der monatlich stattfindende Salon wird auch um Drag-Führungen erweitert.

Zum Anlass der Ausstellung „Illusion“ nimmt unsere Autorin Fiona Frommelt am Salon teil, gemeinsam mit anderen Queers, und Allys und Personen, die bisher wenig oder keinen Berührungspunkt zu queeren Themen hatten.

Der Salon ist aufgebaut als ein Boudoir von Drag-Artists, die sich scheinbar hinter den Kulissen auf der Bühne zurechtmachen. Hier wird die Verwandlung sichtbar, das Spiel mit Geschlechterrollen und damit auch das Thema der Ausstellung: „Illusion. Traum – Identität – Wirklichkeit“. Als Performancekunst kann Drag wichtige Themen wie Geschlechtergerechtigkeit und queere Perspektiven humorvoll und künstlerisch thematisieren. Drag provoziert, stellt Regeln auf den Kopf, hinterfragt Normalität und lebt vom Austausch mit dem Publikum.


Drag-Führungen und Salons zu queerfeministischen Themen sind für die Hamburger Kunsthalle eine wichtige Erweiterung des Kunstangebots


Die „Salon“-Abende und Drag-Führungen fordern das Museum als Institution heraus: Kunst und Kuration sind nicht neutral. Sie müssen in Kontexte eingeordnet werden. Jenny Saitzek und Simon Schultz kuratieren das queere Angebot der Hamburger Kunsthalle. Jenny Saitzek erzählt, dass sich das Salon-Projekt 2022 etabliert hat – zunächst nur als Erweiterung der Ausstellung „Femme Fatale. Blick – Macht – Gender“, um den feministischen Diskurs zur Ausstellung zu fördern. Von Anfang an geht es darum, kunstschaffende Personen aus Hamburg einzuladen und ihnen eine regionale Bühne zu bieten. „Der erste Salon war ein Riesenerfolg!“, so Jenny Saitzek. „Das Haus hatte auf einmal ein völlig neues Publikum: jünger, diverser, queer. Es war einfach wunderbar. Das war so schön, dass wir es weiterführen.“

Foto: Vera Drebusch

We’re not just a trend - Kunst war schon immer auch queer

Das Museum führt das Angebot auch heute, drei Jahre später, fort.
Laut Jenny Saitzek geht es dabei nicht nur darum, Räume zu öffnen, sondern auch darum, das Haus selbst zu sensibilisieren und Strukturen zu hinterfragen: „Es gibt so viele Varianten, Menschen respektvoll anzusprechen.“ Das beginnt beim Entgendern der Texte auf der Website, Inklusion in der Sprache und in Bildbeschreibungen. Es geht darum, eine allgemeine Haltung einzunehmen und sich zu fragen: Wie erzählen wir Kunstgeschichte? Welche Geschichten fehlen oder erzählen wir falsch?

Kunst war nie unpolitisch, und auch Informationen vorzuenthalten, ist eine politische Entscheidung. Bis heute werden in der Kunstgeschichte die Identitäten der Kunstschaffenden umgedeutet oder unsichtbar gemacht. Deutlich wird dies an Beispielen wie etwa der Künstlerin Anita Rée und ihren Werken, die vor allem Frauenporträts abbilden. Anstelle von Partnerinnen wird in vielen Beschreibungen von engen oder besten Freundinnen gesprochen. Es geht heute darum, queere Geschichten (richtig) zu erzählen und ihnen eine Plattform zu geben. Die Kunst wird in den Salons zur Brücke zwischen Kultur und Identität.

Simon Schultz erklärt, dass Queerness in der Kunst als integraler Teil dazugehören sollte – nicht als etwas Exklusives, sondern als eigenständige Präsenz. LGBTQIA+ Artists sollten nicht gezwungen werden, queere Kunst zu machen, sondern die Freiheit haben, selbst zu bestimmen, was die eigene Kunst besonders, aufregend und spannend macht.

„Es sind Stöckelschuhe auf Marmor – ein Bild, das wir oft verwenden, um dieses patriarchale Konstrukt zu beschreiben. Doch jetzt wird es aufgebrochen, und das braucht auch seine Zeit“, sagt Jenny Saitzek.

Die Salons werden zu einem Manifest der Dekonstruktion von oppressiven Systemen. Sie sind mehr als Veranstaltungen und verwandeln das Museum weg von stiller Institution zu einer Bühne queerer Allianz.

„Ich erwarte, dass die Menschen sich darauf einlassen und dass sie einen Hauch von Voyeurismus mitbringen. Wie bei einer guten Performance hoffe ich, dass die Menschen danach verändert, beschwingt, aber immer noch sie selbst sind – vor allem aber Spaß hatten.“ – Simon Schultz


Dr. Temp Dyane Prozak

Kuratorin, Sammlerin und Aktivistin – bekannt ist sie für ihre schonungslosen Bildbesprechungen, radikale Unehrlichkeit und dramatische Bühnenstürze.

TUSH: Was bedeutet Drag für dich?
Dr. Temp Dyane Prozak:
Drag ist für mich eine Performance-Kunst, in der ich mit sehr großem Freiraum unterschiedliche Anteile meiner Persönlichkeit ausbalancieren und ausdrücken kann.

Inwiefern passen Museen und Drag-Kunst zusammen?

Drag Queens haben schon immer eine Leuchtturmfunktion gehabt, sowohl für die queere Community als auch im Kampf für Bürgerrechte. Drag Artists können auf ganz besondere und schöne Weise komplexe Themen unterhaltsam vermitteln. Dazu gehört auch Kunst.

Wie hat sich aus deiner Sicht die öffentliche Wahrnehmung zu Drag verändert?
In meiner Einschätzung ist Drag als Performancekunst durch diverse Reality-Formate aus der Subkultur in die Popkultur gerutscht. Dementsprechend kommen heute natürlich sehr viele Menschen, die vorher nichts über Drag wussten, mit Drag Kunst in Kontakt. Ganz viele Menschen lieben heute Drag. Wenn eine Kunstform erfolgreich ist, dann treten leider auch immer mehr Hater auf den Plan. Meiner Meinung nach sind die Fans aber deutlich in der Überzahl, und das ist genau richtig so und erfüllt mich mit viel Freude und Glück.

Die „Bühne” der Kunsthalle ist eine andere als normalerweise und heute eher institutioneller für eine Drag Performance. Was hat das für einen Einfluss auf dich?

Ich habe mir einen Pelzmantel und neue Schuhe gekauft. Heute beschwöre ich meine innere Rich Bitch aus Blankenese herauf, mit einer „Trophy Wife”-Frisur und bin „Trophy-Wife”-Sammlerin (lacht). Ich finde das sehr angenehm, weil ich selbst einen künstlerischen Hintergrund habe. Ich habe Medienkunst in Karlsruhe studiert. Für mich ist es fantastisch, dass dieses institutionelle, akademische Vokabular und Drag plötzlich in einer Gleichzeitigkeit möglich sind. In diesen wunderschönen und großen Räumen ist es ein tolles, entspanntes und würdiges Arbeiten. Hier in der Hamburger Kunsthalle eine Performance machen zu können, ist etwas ganz Besonderes für mich und ich habe mir auch etwas Besonderes für später ausgedacht.

Foto: Ronja Hartmann

Magnif.ck

Moderatorin, Sängerin, Multitalent – Mit Charme, Sexappeal und einer ordentlichen Portion Humor sorgt sie für unvergessliche Momente auf der Bühne

„Drag für mich ist alles, was mit Authentizität zu tun hat und das, was eine Person von innen nach außen bringen möchte. Ob das in Form von Performance ist oder nur von Looks, oder die ganze Kombination.”

TUSH: Wie passt die Kunst des Drags mit der Institution der Hamburger Kunsthalle zusammen?
Magnif.ck: Es passt auf jeden Fall zusammen, diese Erfahrung habe ich gemacht. Alles, worin man eine Fähigkeit entwickeln kann, lässt sich meiner Meinung nach auch als Kunstform ausüben. Make-up ist eine Kunstform. Das kann dann mit Performance oder Kunst erweitert werden. Wenn Kunst auf Kunst trifft, kann es ja eigentlich nur gut werden. Egal wie alt die Gemälde sind, egal wie alt die Kunst ist. Minus mal Minus gibt Plus, und Plus mal Plus gibt noch mehr Plus (lacht).

Das Publikum und die Bühne der Kunsthalle unterscheidet sich vom Publikum von klassischen Drag Show in Bars und Nachtclubs. Inwiefern beeinflusst das deine Performance?
Ich habe mir tatsächlich einen sehr großen Druck gemacht, dass ich hier anders abliefern muss und etwas beweisen muss, da ich weiß, dass das ein ganz anderes Publikum ist, als das, das ich eigentlich gewohnt bin.

Wie findest du, hat sich die Haltung zu Drag in den letzten paar Jahren verändert?
Die Haltung zu Drag hat sich sehr gespalten. Es gibt Leute, die Drag für sich entdecken oder schon kennen und Drag als Kunstform akzeptieren und lieben. Auf der anderen Seite verteufeln viele auch Drag und zwar sehr laut. Das war vor fünf, sechs Jahren, als ich mit Drag angefangen habe, noch anders. Die Leute, die es nicht mochten, sind einfach am Club vorbeigelaufen. Die Leute, die es mochten, die haben dich bejubelt. Heute habe ich das Gefühl, alle Leute sind laut und teilen ihre Meinung mit. Aber ich nehme für mich nur Positives mit. Das Negative interessiert mich nicht.

Was wünschst du dir für queerer Repräsentation in der Kunst für die Zukunft?
Was ich mir wünsche, ist, dass es Queerness politisch nicht schwer gemacht wird zu existieren. In der Kunst wäre es schön, wenn Begriffe wie „Queer Artist“, „Gay“, „Lesbian“ oder „Transgender“ einfach nur als solche existieren und nicht zum Thema gemacht werden müssen. Es sollte im Vordergrund um die Kunst gehen, und nicht darum, wer die Kunst gemacht hat bzw. deren Sexualität oder Identität. Es ist auch wichtig, queeren Artists eine Bühne zu geben, da sie den Weg für andere ebnen, die nicht aus der Community kommen. Sie schaffen so Berührungspunkte für Menschen, die keine direkte Verbindung zu queeren Themen haben, und tragen dazu bei, Ängste, Sorgen und Missverständnisse aus der Welt zu schaffen.

Foto: Vera Drebusch

Beate S. Aye Konik Sperrmüll

Als Mittunt* des Hamburger Kollektivs Schaar der Schäbigen ist sie unpoliert, unbeugsam und unbedingt politisch, sowie in einem stetigen Balanceakt zwischen „slay” und „cringe”.

TUSH:  Welchen Einfluss hat die Art der Bühne heute auf deine Performance?
Beate S. Aye Konik Sperrmüll: Für mich bedeutet als Tunte aufzutreten in einen Charakter zu schlüpfen, der freier ist als ich selbst und sich mehr traut. Ich trete so auf, wie ich gerne wäre. Heute habe ich mich  doch deutlich stärker vorbereitet als auf meine anderen Auftritte. Oft machen wir interne Tuntenshown für andere Tunten, als Selbstbespaßung. Aber ich mag diesen Kontrast von heute – eine Tuntenshow in einem Museum. Auch weil ich mich als Tunte als „schäbig” verstehe und jetzt trete ich in einer sehr gehobenen Institution auf.
Oft ist auch die Rede davon, dass Kunst zugänglicher werden soll. Daher möchte ich es auch nicht zu sehr auf ein Podest stellen. Ich glaube, das ist auch das Problem – Institutionen werden häufig auf Podeste gestellt, weswegen sie dann so elitär und unzugänglich werden.

Abende wie heute tragen genau dazu bei, dass Museen als Institutionen offener werden und Diskurse fördern. Was wünschst du dir für die Zukunft von queerer Rhetorik in der Kunst wie auch in den Medien?
Ich hoffe natürlich, dass diese Salons und Plattformen der Hamburger Kunsthalle eine positive Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft haben. Eine Normalisierung von Queerness im Alltag und die somit mehr Akzeptanz findet, wäre schön. Wenn es nach mir ginge, könnte alles queer sein. Ich wünsche mir eine vielfältige Darstellung. Momentan habe ich das Gefühl, ich muss mir immer sehr genau überlegen, wenn ich etwas darstelle, da es sich so anfühlt, als würde ich die gesamte Queer Community repräsentieren. Du wirst selten wirklich als einzelne Person gesehen, sondern sehr schnell stellvertretend für die gesamte Community. Ich wünschte, Queerness würde normalisiert, so, dass ich auch einfach ich sein kann, ohne sofort “für uns alle” aufzutreten.

Editor: Fiona Frommelt

Illustration: Lida Medzech

Fotos: PR Hamburger Kunsthalle, Vera Drebusch, Magnif.ck, Ronja Hartmann

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