Foto: Frankie Markot (@frankie.markot)

Face Decor by Emily Wood: Wenn das innere Kind den Pinsel führt

(Scroll down for the English translation of the interview)

Zwischen endlosen, makellosen Make-up-Tutorials auf Instagram fällt Emily Wood sofort auf. Beim Scrollen bleibe ich hängen – an einem kurzen Video, in dem sie sich mit einem Lipliner auf die Wangen malt, Striche auf Stirn und Nase setzt, Konturen rund um den Mund zieht – und das alles mit dem Finger verblendet. Rein intuitiv.

Etwas daran berührt. Es ruft eine Erinnerung wach – an Kindheitstage, an heimlich entwendete Lippenstifte, an Eyeliner-Kritzeleien im Spiegel. Als Make-up noch Spiel war, nicht Strategie. Genau daran erinnert Emily: Dass Schönheit auch eine Form von kindlicher Freiheit sein darf. Und genau das liebt auch ihre Community – mittlerweile über 147.000 Followers auf Instagram.

Screenshots aus Reel via @emilywoodmakeup

Seit fast einem Jahrzehnt teilt Emily ihre Arbeiten auf ihrem Profil: Magazin-Cover, Editorials, prominente Gesichter wie ihre Schwester Aimee Lou Wood („Sex Education“, „The White Lotus“) oder Musikerin Lola Young („Messy“). Doch die Posts, die am meisten Resonanz erzeugen, zeigen nicht Models, sondern sie selbst – ihr Gesicht als Bühne, als Leinwand, als Tagebuch ihrer Emotionen und Inner-Child-Work. Wenn Emily ihr inneres Kind den Lipliner führen lässt, entsteht etwas, das weit über Ästhetik hinausgeht. Kein Zufall, dass ihr liebstes Gesicht bis heute das ihrer Großmutter ist – vertraut, ungekünstelt, mit einer vielzahl an Erinnerungen. Das und mehr über ihre kreative Freiheit, kindliche Neugier und den Mut zur Unperfektion erzählt sie TUSH im Interview.

Lola Young w/ makeup by Emily Wood
Aimee Lou Wood w/ makeup by Emily Wood

TUSH: Dein Zugang zu Make-up wirkt unglaublich intuitiv – fast so, als würde dein inneres Kind den Ton angeben. Würdest du sagen, dass genau daraus deine kreative Energie entsteht?

EMILY WOOD: Meine Vorstellungskraft ist immer voll aufgedreht. Das ist in vielerlei Hinsicht ein Geschenk – besonders als Make-up-Artist –, weil ich Konzepte und Charaktere ganz klar vor mir sehe. Aber es bedeutet auch, dass ich mir genauso lebendig die schlimmsten Szenarien ausmalen kann. Diese visuelle Intensität hilft mir beim Kreieren, kann aber auch meine Angst verstärken. Die gleiche Fantasie, die meine Kreativität antreibt, kann sich manchmal gegen mich richten – und genau deshalb war es lebensverändernd für mich, Videos zu machen. Ich habe dadurch den Raum und die Freiheit, meine kreative Energie zu kanalisieren. Es fühlt sich an wie Arbeit mit meinem inneren Kind.

In einer Branche, die von Perfektion, Symmetrie und makelloser Ästhetik besessen ist – wie bleibst du bei deinem rohen, emotionalen und oft unperfekten Ausdruck?

Ich bin mit einer starken körperdysmorphen Störung aufgewachsen, die mir viel abverlangt hat. Ich habe so viel Energie darauf verwendet, wie ich wahrgenommen werde und wie sehr mein Aussehen den gesellschaftlichen Erwartungen entspricht. Auch heute habe ich noch Tage, an denen ich mich nicht gut fühle. Aber mit der Zeit habe ich gelernt, mit diesen Momenten umzugehen – und ein großer Teil meines Heilungsprozesses war es, mich immer wieder sichtbar und verletzlich zu zeigen, vor allem beim Filmen meines Make-ups. Es war ein Weg, Unvollkommenheit anzunehmen und die Fixierung auf Perfektion loszulassen. Ich bin dankbar, dass ich meine Energie in kreative Projekte und Selbstausdruck fließen lassen kann, und ich lerne, mich auf das zu konzentrieren, was mir wirklich Freude bringt. Ich erinnere mich immer wieder daran, dass das Echte und Ungefilterte – sowohl in meiner Arbeit als auch in meinem Leben – das ist, was andere wirklich berührt.

Deine Arbeit stellt viele der klassischen Schönheitsnormen infrage. Welches „Make-up-Gesetz“ würdest du am liebsten für immer abschaffen?

Lange Zeit hatte ich das Gefühl, Make-up sei nicht „wichtig genug“. Nicht akademisch, nicht intellektuell. Aber die Wahrheit ist: Mein dyslektisches Gehirn – wie es Probleme umgeht, Abkürzungen findet, sich anpasst – ist eine meiner größten Stärken in diesem Beruf. Ich sehe Make-up nicht als etwas Festes oder Starres. Für mich ist es einfach nur Farbe – formlos, bis man entscheidet, was daraus wird. Lippenstift als Rouge, Lidschatten als Highlighter, Eyeliner für alles. Ich wünsche mir, dass mehr Menschen erkennen, wie flexibel die Regeln sind – und dass wahre Intelligenz in der Kreativität steckt. Make-up ist Kunst. Und Kommunikation.

⁠Siehst du Make-up auch als eine Form der Heilung? Wenn ja – wie hat es dich persönlich verändert oder etwas in dir geheilt?

Make-up ist für mich eine Möglichkeit geworden, mein Nervensystem zu beruhigen. Wenn alles zu viel wird, hilft mir der Schritt-für-Schritt-Prozess, etwas auf mein Gesicht zu zaubern, wieder in die Mitte zu kommen. Es entsteht ein tiefes Gefühl von Selbstwert, wenn ich aus mir selbst etwas Magisches mache – nicht, um „besser“ auszusehen, sondern weil mich das kreative Gestalten daran erinnert, dass ich mich verwandeln darf. Make-up bringt mich nach Hause. Auch wenn ich gerne auffällige, expressive Looks kreiere, ist mein Alltags-Make-up ganz schlicht und bewusst: Wimpern biegen, Mascara von Makeup Revolution, dazu etwas Lipliner von Lisa Eldridge – fertig. Es ist minimalistisch, aber trotzdem ein Ritual. Eines, das mich wieder mit mir selbst verbindet.

Emily Wood mit Schwester Aimee Lou Wood

Du schminkst häufig deine Schwester Aimee Lou Wood und teilst besondere Make-Up-Momente mit deiner Großmutter. Wie beeinflusst deine Familie deine kreative Stimme?

Schon als Kind habe ich stundenlang das Make-up meiner Familie gemacht und Gesichter vollgemalt. Ich war immer fasziniert von einem unperfekten, maximalistischen Look – und es war meine wunderbare Mama, die als Erste erkannt hat, dass hinter meinem Zugang zu Make-up etwas Größeres steckt. Aimee war mein allererstes „Leinwand“-Gesicht und gleichzeitig mein größter Fan. Sie war von jedem Look, den ich an ihr ausprobiert habe, begeistert. Unsere Kindheitsträume sind mit uns gereift – wie guter Wein. Die tiefste Verbindung aber habe ich zu meiner Nana. Es bewegt mich jedes Mal, wie sie sich ganz selbstverständlich von mir schminken lässt – ohne Zögern, mit purem Vertrauen. Sie ist der Grund, warum ich in meiner Arbeit nach genau dieser Art von Verbindung suche, die sich wie „Zuhause“ anfühlt. Meine bedeutendsten Make-up-Momente habe ich an ihrer Seite.

Make-Up-Momente mit Emilys Nana

Wenn du morgen deine eigene Make-up-Bewegung starten könntest – wie würde sie aussehen?

Wenn ich morgen meine eigene Make-up-Bewegung starten könnte, ginge es nicht um Trends oder Techniken – sondern um Emotionen, Instinkt und Freiheit. Um einen Raum, in dem Menschen aus dem Gefühl heraus gestalten dürfen – nicht aus der Vorstellung, wie sie aussehen „sollten“. Diese Bewegung würde das Unperfekte und Surreale feiern. Make-up wäre ein Ritual, eine Erzählform, ein Akt des Loslassens. Es ginge darum, sich schön zu fühlen – aber noch viel mehr darum, sich gesehen zu fühlen. Nicht nur für das, was man erreicht, sondern auch für Ängste, Sanftheit und das bloße Versuchen. Denn genau diese Art von Anerkennung schafft echte Verbindung.

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Interview – English version:

Your approach to makeup feels incredibly intuitive – almost as if you’re letting your inner child lead the way. Would you say that’s where your creative energy comes from?

My imagination is always on full volume. It’s a gift in many ways – especially as a makeup artist – because I can visualise concepts and characters vividly. But it also means I can picture worst-case scenarios just as clearly. This visual intensity helps me create, but it can also spike my anxiety. The same imagination that fuels my artistry can often turn against me – and that’s why making my videos has been life-changing. I now have the freedom and space to channel my creative energy, which feels like inner-child work.

In an industry fixated on perfection, symmetry, and polished aesthetics: How do you stay rooted in raw, emotional, and often imperfect expression?

I grew up struggling with body dysmorphia. I spent so much energy focused on how I was perceived and how my appearance measured up to society’s standards. Even now, I still have days when I’m not feeling my best. But over time, I’ve learned to work through those moments – and a big part of my healing has come from repeatedly exposing myself to being seen and vulnerable, especially through filming my makeup in such a public space. It’s been a process of embracing imperfection and letting go of the obsession with perfection. I’m grateful to have the space to channel my energy into creative projects and self-expression, and I’m learning to focus on what truly brings me joy. I try to remind myself that what’s real and raw – both in my work and in my life – is what resonates most with people.

⁠Your work challenges many of the traditional beauty norms. What’s one “rule“ of makeup you’d love to see people unlearn for good?

For a long time, I struggled with the idea that makeup wasn’t “important enough.” That it wasn’t academic or intellectual. But the truth is: my dyslexic brain – the way it works around problems, sees shortcuts, and adapts – has been one of my biggest strengths in this career.

I don’t see makeup as fixed or rigid. To me, it’s all just pigment – formless until you decide what it becomes. Lipstick as blush, eyeshadow as highlight, liner as everything. I’d love for more people to see that the rules are flexible, and that creativity is the real intelligence behind it all. Makeup is art and communication.

Do you see your approach to makeup as a form of healing? If so, how has it personally transformed or healed something within you?

Makeup has become a way for me to regulate my nervous system. When everything feels overwhelming, the act of sitting down and creating something on my face – step by step – grounds me. There’s a deep sense of self-worth that comes from making something magical out of myself. Not because I’m trying to look “better,” but because creating art on my face reminds me that I’m allowed to transform. Makeup brings me back home.

While I love doing bold, expressive looks, my everyday makeup is simple and intentional – I curl my lashes, swipe on Wrap Lash by Makeup Revolution, and scribble Lisa Eldridge lip pencil all over. It’s minimal, but it still feels like a ritual. One that reconnects me to myself.

You’ve done makeup for your sister, Aimee Lou Wood, and shared beautiful moments with your grandmother. How does your connection to family shape your creative voice?

Growing up, I would spend hours doing my family’s makeup, scribbling things on their faces. I’ve always been drawn to that imperfect, maximalist finish – and it was my incredible mum who first recognised my approach to makeup as something bigger.

Aimee was my OG canvas and cheerleader. Every look I tried on her came with encouragement and excitement. Both our childhood dreams have aged like fine wine.
The deepest thread runs through my Nana. There is something so moving about how she has always let me do her makeup with no hesitation. Pure trust. She is the reason I’m chasing that type of connection that feels like home in my work. My most meaningful makeup moments have been spent sitting next to her.

If you could start your own makeup movement tomorrow, what would it look like?

If I could start my own makeup movement tomorrow, it wouldn’t be about trends or techniques – it would be about emotion, instinct, and freedom. A space where people are encouraged to create from how they feel, not how they think they should look.
The movement would celebrate the messy and the surreal. Makeup would be seen as a form of ritual, storytelling, and release. It would be about feeling gorgeous – but more importantly, about feeling seen. Not just your achievements, but your fears, your softness, and your effort – because that kind of recognition builds real connection.

 

Text & Interview: Kiki Roloff
Fotos: Emily Wood (Via Instagram)

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