HEY DARE!

TUSH 56

Harrison Patrick Smith ist ein Künstler, der sich mit spielerischer Leichtigkeit zwischen Tanzfläche und Intellekt bewegt. Als „The Dare“ hat er sich in kürzester Zeitm als eine der spannendsten Figuren der aktuellen Indie-Szene etabliert. Sein Sound ist raw, energiegeladen und von einer gewissen Nostalgie durchzogen – eine Wiederbelebung der frühen 2000er, als Indie-Rock und elektronischer Exzess in verschwitzten Kellern und verrauchten Clubs aufeinandertrafen. Mit seinem Debütalbum „What’s Wrong with New York?“ und seinen DJ-Sets bringt Smith eine Ästhetik zurück, die längst ein Comeback verdient hätte: Indie Sleaze. Dieser Begriff beschreibt eine Ära exzessiver Partys, unpolierter Club-Fotografie – geprägt von Cobrasnake und Tumblr – sowie einer Musikszene, die gleichzeitig glamourös und heruntergekommen ist: Hedonismus mit Ecken und Kanten. Und genau diese Mischung aus bewusstem Stilbruch, provokantem Minimalismus und ungekünstelter Coolness könnte durch The Dare ihr Revival erleben. Im Gespräch mit unserem Creative Director Emrah Seçkin zeigt sich Smith als reflektierter Künstler, der sich seiner Referenzen bewusst ist, ohne nostalgisch zu werden. Zwischen augenzwinkerndem Stilbewusstsein und ernsthafter künstlerischer Ambition lotet er die Grenzen zwischen Pop, Performance und Party neu aus. Ein Dialog über Mode, Musik und die Frage, ob Authentizität in einer algorithmisierten Welt überhaupt noch existiert.

Du bist in Los Angeles geboren und lebst hauptsächlich in NYC, aber immer wenn ich dich sehe, denke ich, dass du bestimmt einen britischen oder irischen Akzent hast. Meinst du, das liegt an deinen Haaren?

Ich denke, die Haare spielen auf jeden Fall eine Rolle. Aber es sind auch meine Gene – meine ganze Familie ist tatsächlich irisch (grinst).

Du hast mal als Musiklehrer gearbeitet. Hat dein Anzug, der zu deinem Erkennungsmerkmal geworden ist, etwas mit dieser Zeit zu tun?

Ich habe früher nie einen Anzug getragen im Unterricht, ich trug eher ein ganz normales Lehrer-Outfit mit einem schicken Hemd. Der Anzug war für mich eher ein Statement, so eine kleine, bewusste Dissonanz. Ich fand es einfach cool, Rockmusik im Anzug zuspielen. Es ist ein klassischer Stil, der immer wieder angesagt ist. Verschiedene Leute haben das auf ihre Weise aufgegriffen.

Welche Schuhe kombinierst du am liebsten mit deinem Anzug?

Ich bin ein großer Fan der G.H. Bass Weejuns Duffers. Die trage ich ständig. Bei einem Konzert in London bin ich ins Publikum gesprungen, jemand hat versucht, mir einen Schuh auszuziehen und hat es tatsächlich geschafft. Zurück auf der Bühne, hatte ich nur noch einen Schuh an. Da es das letzte Konzert der Europa tour war, habe ich den anderen ausgezogen und ins Publikum geworfen. Das war irgendwie witzig.

In deiner Folge des Podcasts „Throwing Fits“ hast du gesagt, dass du Doc Martens hasst. Wie fühlt es sich an, eine Ikone zu hassen?

Gute Frage. Normalerweise bin ich eher das Ziel von Hass. Aber ehrlich gesagt fühlt es sich gut an. Es tut gut, mal gegen etablierte Dinge zu schießen. Jemand muss es ja machen, weißt du (lacht).

Du hast „The Dare“ als Spaßprojekt gestartet und deine Songs an Freunde und Familie geschickt. Denkst du, es ist weniger beängstigend, etwas ohne große Ernsthaftigkeit anzufangen?

Man muss es schon ernst nehmen und viel Zeit reinstecken. Aber wenn man sich zu ernst nimmt oder sich ständig Sorgen macht, kommen selten gute Ideen raus. Kreativität funktioniert so einfach nicht. Ich glaube, es ist besser, erst mal herumzuspielen und verrückte Sachen auszuprobieren. Später kann man das Ganze überdenken und technisch sauber ausarbeiten, um daraus etwas Ernsthaftes zu machen – und nicht nur einen Witz. Ich finde, das ist generell ein guter Weg, Kunst zu machen.

Wie bist du auf deinen Künstlernamen gekommen?

Der Name fiel mir einfach ein und ich fand, er passt gut zu der Musik, die ich mache. Ich wollte etwas Klassisches, deshalb auch ein „The“ davor. Leider gibt es keine große Geschichte hinter dem Namen, er hat sich einfach am besten angefühlt.

Hat dich der Entstehungsprozess deines Albums „What’s Wrong with New York?“ aus 2024 etwas Neues über NYC gelehrt?

Auf jeden Fall. Während des gesamten Prozesses hat sich sowohl die Musik, die ich in New York erlebt habe, als auch mein Leben stark verändert. Meine Verbindung zur Stadt hat sich weiterentwickelt, besonders durch die Erfahrung, wegzugehen, die Welt zu sehen und dann wieder zurückzukommen. Eigentlich hat sich alles während der Entstehung des Albums verändert, aber auch nicht unbedingt wegen des Albums selbst.

Wie denkst du, hat 9/11 die Stimmung und kreative Energie der Indie-Sleaze-Künstler damals beeinflusst? Und glaubst du, dass dieser Einfluss noch heute im Genre spürbar ist?

Da gibt es keinen Zweifel. Wenn man sich all diese alten Interviews über Electro Clash und das Nachtleben anschaut, würde man das heute wohl als frühen Indie Sleaze bezeichnen. Technisch gesehen fängt Indie Sleaze Mitte der 2000er an und es war definitiv eine reaktive Bewegung auf die Bedrohung von Tod, Angst und Chaos. Was wir jetzt erleben, besonders nach Covid, ist vielleicht vergleichbar, aber auch anders. Ich kann nicht für andere sprechen und es ist schwer, die beiden Ereignisse zu vergleichen, es gibt natürlich Unterschiede in der Reaktion darauf. Ich finde, dass der Drang, nach draußen zu gehen, Spaß zu haben und sich bewusst zu werden, wie kurz das Leben ist, immer noch da ist. Am besten macht man sich dazu schick und hat einfach Spaß.

Führt das zu Hedonismus?

Auf jeden Fall. Es gibt eine dunklere Seite des Hedonismus, aber auch eine optimistische.

Glaubst du, dass in unserer von Algorithmen geprägten Kultur Bewegungen wie Indie Sleaze noch natürlich entstehen können? Oder denken die Menschen inzwischen so viel über sich selbst nach, dass nichts mehr so authentisch wirkt wie damals?

Ich weiß nicht, Authentizität ist schwer zu fassen. Ich glaube, viele der Bands aus den frühen 2000ern würden sagen, dass sie gar nicht so authentisch waren und mit früheren Bands verglichen wurden. Sie haben im Grunde die 1980er-Jahre wiederholt, wie Kraftwerk, Suicide, Television. In diesem Sinne war es ein Revival. Aber ich denke, heute werden Dinge so schnell online kommuniziert, dass die Leute die Puzzleteile schneller zusammenfügen können. Deshalb glaube ich nicht, dass es jetzt mehr oder weniger authentisch ist. Es ist wie eine andere und neue Ära, in der Kultur konsumiert und diskutiert wird. Es läuft ein bisschen anders ab. Die Vergangenheit anzuschauen und zu denken, dass sie authentischer war, ist irgendwie immer ein bisschen albern.

Bevor du zu „The Dare“ wurdest, hattest du eine Band namens Turtlenecked. Welchen Rat würdest du heute als The Dare deinem jüngeren Ich bei Turtlenecked geben?

Weniger ist mehr

In welcher Hinsicht?

In Bezug auf Musik machen. Songwriting und Stil. Ich denke, es ist wirklich wichtig, Dinge zu vereinfachen, vereinfachen, vereinfachen. Das ist es, was mir die letzten zehn Jahre des Songwritings beigebracht haben: dass es darum geht, etwas mit einfachen Worten und einfachen Klängen zu schaffen. Wenn man das in einer minimalen, aber spannenden Weise kombiniert, ist das eigentlich das, was ich am meisten an Musik liebe. Und auch das, was Musik im Moment mit Menschen verbindet.

DJ-Sets oder Live-Sets – was fühlt sich für dich aktuell besser an?

Momentan DJ-Sets.

Hat das, was du trägst, Einfluss darauf, wie du dich auf der Bühne fühlst oder wie du mit dem Publikum interagierst?

Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, mittlerweile würde es sich komisch anfühlen, mit einem T-Shirt auf die Bühne zu gehen (lacht). Ich habe das Gefühl, der Anzug ist die beste Erweiterung meiner Persönlichkeit und hilft mir dabei, mehr aus mir rauszukommen.

Deine Musik erinnert an die Yeah Yeah Yeahs, Soulwax, LCD Soundsystem und frühen Beck … Sind das Einflüsse für dich?

Oh ja, alle Erwähnten sind wichtig für mich. Beck ganz besonders. Ich bin ein Riesenfan.

Hast du einen Lieblingssong von Beck?

Eigentlich das ganze „Midnite Vultures“-Album. Wahrscheinlich ist „Deborah“ oder „Sex Laws“, einer dieser beiden, mein Lieblingssong. Schwer zu sagen. Er hat so viele verschiedene gute Phasen und Styles.

Stören dich die Vergleiche zu den Bands und Musikern?

Oh nein. Überhaupt nicht. Am Ende klingt alles irgendwie nach etwas, was es schon gibt.

Im Vergleich zu den 2000ern gibt es natürlich einen Unterschied zum heutigen Publikum. Ich erinnere mich, 2007 waren die Leute total wild, es gab kaum Handys. Es gibt auch Vergleichsvideos von Boiler-Room-Sets online, von damals und heute. Wie siehst du das?

Es ist der Einfluss des Internets und der Handys. Ich bin ziemlich schnell in die Poprichtung gegangen, im Gegensatz zu anderen Künstlern, die im Boiler Room aufgelegt haben. Aber trotzdem denke ich, dass viele der Shows sehr intensiv sind und nicht alles dokumentiert werden kann, etwa Gefühle. Ich bin auch immer wieder überrascht, wenn ich durch die Menge surfe und rumspringe, dass ich plötzlich denke: „Hoffentlich macht jemand ein Bild davon.“ Und dann am nächsten Tag: nichts. Wenn die Leute wirklich im Moment versinken und es genießen, zücken sie nicht ihr Handy. Sie haben Spaß oder sind in Bewegung. Wenn alle ihre Handys auf einmal rausholen, bekommt man immer nur die gleichen Videos vom selben Event, was irgendwie enttäuschend ist. Das jetzige Publikum ist vielleicht auch ein bisschen jünger und hat mehr Zugang zu Technologie.

Wenn du an Musik aus Deutschland denkst, was fällt dir als Erstes ein?

Ich denke an Berlin. Ich denke an David Bowie und Iggy Pop. Die beiden sind einfach riesige Einflüsse für mich. Bowies ganze Berlin-Ära ist enorm. Ich schätze, es ist schwer, nicht an Techno und Berghain zu denken. Aber ich bin weniger in richtigem Techno und mehr in Electro und Minimal Techno unterwegs, was eher aus Köln kommt.

Könntest du dir vorstellen, so etwas wie die Bowie-Trilogie speziell in Berlin zu machen?

Ich habe schon oft darüber nachgedacht, ein Album zu machen, das auf einem bestimmten Ort basiert. Das erste Album fand in New York statt. Ich fand die Idee schon immer cool, irgendwo für ein paar Monate zu verschwinden, Musik zu schreiben, sich von der Stadt oder der Erfahrung dort inspirieren zu lassen. Also, Berlin steht auf jeden Fall auf meiner Liste.

Deutschland hat eine reiche Tradition in elektronischer Musik, hat das deine Musik beeinflusst?

In letzter Zeit bin ich total auf Kompakt Records, das ist das Kölner Label für Micro House und Minimal Techno. Ihre Art, mit Raum und Sounddesign zu arbeiten, ist so simpel und kann sowohl in einer tanzbaren Weise als auch in einer Sound-Landschaft unglaublich effektiv sein. Sie haben auch Wolfgang Voigt aka „GAS“ herausgebracht, der einfach unglaublich schöne Ambient-Musik macht. Das ist das, worüber ich nachdenke. Ich habe auch ein paar Freunde dort, die gerade Teil der Indie-Underground-Szene sind.

Man könnte sagen, du magst Berlin.

Ja, tatsächlich sehr. Ich bin immer gerne dort. Vielleicht liegt es daran, dass ich dort schon Freunde hatte und jetzt noch ein paar mehr habe, aber es gibt einfach etwas sehr Einladendes an der Stadt, das ich nicht ganz erklären kann. Ich weiß nicht, ob alle im Tour-Team das genauso empfinden wie ich. Ich mag das Essen, und die Leute sind einfach großartig. Und die Beziehung zu elektronischer und Tanzmusik ist einfach legendär.

Hast du einen deutschen Künstler, mit dem du gerne zusammenarbeiten würdest, oder jemanden, den du bewunderst?

Etwas mit Kraftwerk zu machen, wäre echt cool, aber ich weiß nicht genau, wie viele von ihnen noch am Leben sind. Florian Schneider ist ja gestorben. Aber Ralf Hütter lebt und ist immer noch aktiv. Das wäre auf jeden Fall ziemlich cool. Zumindest für mich.

Hast du einen Lieblings-Soundtrack?

Viele. Ich liebe den Soundtrack und Score von „Drive“. Der von „Challengers“ war auch richtig gut. Das ist gerade mein aktueller Favorit. Der Film ist natürlich großartig.

An welchen Projekten arbeitest du gerade? Gibt es etwas, worauf du dich in naher Zukunft besonders konzentrierst? Dein Manager Bryce erwähnte Dance-Musik während unseres Shootings.

Ja, eine Dance-EP wird rauskommen. Das sind Tracks, die ich beim DJing spiele, also instrumentale Club-Sachen. Dann gibt es noch ein paar andere geheime Projekte. Ich weiß nicht, ob ich schon etwas dazu sagen darf, aber sie sind über das Jahr verteilt geplant. Eswird zwei Projekte geben und bisher eine spannende Zusammenarbeit mit einer Dame.

Eine Dame, mit der du schon gearbeitet hast?

Nein (lacht).

Wenn du ein deutsches Lied oder Album empfehlen könntest, welches wäre das und warum?

Das ist eine wirklich schwierige Frage. Vielleicht „Autobahn” von Kraftwerk. Ich habe das schon in sehr jungen Jahren entdeckt und es hat eine universelle Anziehungskraft. Als Kind mochte ich das Lied und als Erwachsener schätze ich es noch viel mehr.

TALENT The Dare Republic Records
FOTO Tereza Mundilová
CREATIVE  DIRECTOR & INTERVIEW Emrah Seçkin
GROOMING Naomi Gugler
HAARE Stefanie Mellin Ballsaal
STYLING Daliah Spiegel
STYLINGASSISTENZ Sinéad Áoife, Helena Tan, Dalia Hassan
SETBAU Stefanie Grau
SETBAUASSISTENZ Sheena Leach
VIDEO Leander Ott
LIGHT Alan Waddingham

FASHION CREDITS

FOTO 1 Hair by Schwarzkopf, Sonnenbrille Persol
FOTO 2 Luminous Silk Foundation Armani Beauty, Hemd Dior
FOTO 3 Hand Pomade Basil Le Labo, Schuhe Jimmy Choo, Sonnenbrille Miu Miu
FOTO 4 Hair by Schwarzkopf, Hemd Uniqlo, Anzug Hugo Boss, Schuhe Saint Laurent, Sonnenbrille Miu Miu
FOTO 5 Luminous Silk Foundation Armani Beauty, Hemd Uniqlo, Anzug Hugo Boss, Sonnenbrille Persol
FOTO 6 Luminous Silk Foundation Armani Beauty, Sonnenbrille Miu Miu

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