Supermodel Nadja Auermann über Körperbilder und Mindsets im Wandel

Foto ARMIN MORBACH
Interview FABIAN HART
Make-up LONI BAUR Ballsaal
Haare LORENZO BARCELLA Julian Watson Agency
in Kooperation mit CHANEL Beauty

Sie gilt als die Unnahbare – allein schon ihrer Erscheinung wegen: überlebensgroß, überlegen, die „Beine des Business“. Nadja Auermann verkörpert all das und noch viel mehr als diese Signatur. Als Supermodel seit den 1990ern war sie nie Promoterin ihrer Persönlichkeit – wie für Models heute Pflichteinlage, sondern vielmehr die Projektionsfläche in einer analogen Ära. TUSH-Redaktionsleiter Fabian Hart hat sich mit Nadja Auermann vor unserer Fotoproduktion getroffen und mit ihr über Körperbilder und Mindsets im Wandel gesprochen und wie ihr Beruf, entgegen dem Bild der kühlen Blonden, ihr dabei geholfen hat, Nähe zuzulassen.

Les Beiges Fluid Highlighter Pearly Glow CHANEL, Rouge Coco Lipgloss 114 Los Angeles CHANEL, Blazer ROHE (über PETRA TEUFEL), Hemd FILIPPA K.
Noir Allure Mascara 10 Noir CHANEL, Crème Belle Mine Ensoleillée Bronzer 390 Soleil Tan Bronze CHANEL, Bluse IRIS VON ARNIM

TUSH Magazine feiert dieses Jahr sein zwanzigstes Jubiläum, zwei Jahrzehnte Beauty-Culture. Nicht nur unsere Inhalte haben sich in dieser Zeit weiterentwickelt, sondern auch das gesellschaftliche Verständnis von Schönheit. Welche Bewegung, glauben Sie, hat die größte kulturelle Veränderung in diesem Bereich ausgelöst?
Ich denke, die Akzeptanz unterschiedlicher Körperformen und die Erkenntnis, dass jeder Mensch auf seine Weise schön ist und es nicht nur dieses eine Ideal gibt. Body-Positivity ist eine sehr gesunde Entwicklung und Veränderung, vor allem für Frauen, die am stärksten dem Druck ausgesetzt sind, immer dünn sein zu müssen.

Wie sehr hat das auch Ihren Blick auf sich selbst verändert?
Ich bin nun mal von Natur aus groß, und als ich angefangen habe zu modeln, war ich auch sehr dünn. Es gibt diese Körperform in natürlich, und mir gefällt die Silhouette, klar, auch auf dem Laufsteg. Wenn du älter wirst, verändert sich dein Körper aber zwangsläufig und es ist für mich vollkommen in Ordnung, dass ich heute mehr wiege als mit 25. Ich esse, wonach ich mich fühle, und verbiete mir nichts – das Modeln ist für mich aber auch nur noch ein Hobby. In den 1990ern wurdest du einfach nicht gebucht, wenn du nicht bestimmte Maße hattest. Im Grunde genommen waren wir Hochleistungssportlerinnen. Unsere Körper mussten schlichtweg funktionieren wie bei einer 100-Meter-Sprinterin oder einem Fußballer. Auch der muss privat darauf achten, dass er seinen Körper in Form hält und auch schützt – ein sehr unterschätzter Punkt. Ich musste sehr darauf achten, mich nicht zu verletzen. Das hatte ich immer im Hinterkopf, da ich eigentlich kontinuierlich arbeitete. Zum Beispiel durfte ich kein Ski fahren, weil ich mich dabei hätte verletzen können. Schließlich hatte ich Verträge, die ich einhalten musste.

Fahren Sie heute Ski?
Ja, ich habe damit aber erst mit 30 Jahren angefangen und, zugegeben, ich bin keine talentierte Skifahrerin, dazu bin ich als Berlinerin auch nicht prädestiniert. (lacht)

Aber Marathon sind Sie gelaufen: von Metropole zu Metropole und auf sämtlichen Runways – nur um bei Ihrem Bild der Hochleistungssportlerin zu bleiben. In den 1990ern waren Sie und Ihre Supermodel-Kolleginnen allgegenwärtig, obwohl es noch kein Social Media gab. Dieser Eindruck konnte damals nur durch diesen Lifestyle des kontinuierlichen Arbeitens entstehen. Denken Sie, die neue Generation an Models hat es einfacher, da sie schneller globale Phänomene werden können?
Ja und nein. Wenn du gerne dein Privatleben teilst und es dir nichts ausmacht, jeden Tag selbst Content zu produzieren oder produzieren zu lassen – why not? Ich bin jedenfalls gern privat. Wenn ich einen Job habe, dann konzentriere ich mich auf die Leute am Set und bin Teil eines Teams. Das finde ich schön. Heute ist der Job des Models eher eine One-Woman-Show: Du vermarktest dich selbst.

Entmystifiziert das?
Ich denke, dass wir mehr Projektionsfläche waren. Niemand wusste so wirklich, wer die Person dahinter war, und das habe ich mir auch bewahrt. Wenn ich heute Chanel trage, dann bin ich das in dem Moment, und das hat eine große Glaubwürdigkeit, weil ich die Kleidung und das Make-up zwar verkörpere, aber das ist das Ergebnis eines gemeinsamen Kreativprozesses. Mir geht es dann auch nicht um mich und meine Meinung allein, sondern um die Vision einer Gruppe von Menschen. Wenn Loni (sie zeigt auf Loni Baur) mich schminkt, dann entwickelt sich das, wir besprechen Ideen, ich lasse mich auf sie ein. Was möchte Loni als Make-up-Artist? Was möchte der Fotograf? (Sie zeigt auf Armin Morbach) Im Grunde versuche ich auch zu inspirieren, Muse zu sein und zu verstehen, was die Geschichte hinter der Kleidung ist oder hinter dem Make-up, den Farben, der Kollektion. Ich habe schon den Eindruck, dass sich das verändert hat, dass es jetzt eher darum geht: „Wer bin ich? Wie kann ich meinen Stempel aufdrücken?“

Rouge Coco Lippenstift 430 Marie CHANEL
Calligraphie de Chanel Creme-Eyeliner 65 Hyperblack CHANEL, Les Beiges Foundation BR22 CHANEL, Anzug ROHE (über PETRA TEUFEL) Hemd FILIPPA K.

Im Grunde genommen waren wir Hochleistungssportlerinnen. Unsere Körper mussten schlichtweg funktionieren wie bei einer 100-Meter-Sprinterin.

Sie sagen, dass Sie immer Teil der Geschichte eines Teams sind und es auch um die Vision anderer geht, aber Sie haben schon einen Signature-Look, der blonde Bob und Ihre Physiognomie allein, die langen Beine, Ihre hohen Wangenknochen. Das ist „typisch Nadja“ und auch ein Stempel.
Na ja, ich denke schon, dass ich recht wandelbar bin. Es gibt aber bestimmte Looks, die vielleicht bei den Menschen eher hängen bleiben. Es war auch in den 1990ern so, dass man nur selten, etwa in Talkshows, ein bisschen einen Einblick gegeben hat, wer man tatsächlich ist. Heute ist es ein Fulltimejob zu zeigen, wer man ist. Ich bewundere, dass die jetzige Generation an Models das so hinbekommt.

Gibt es Momente, über die Sie rückblickend sagen: „Ich wundere mich, wie ich das alles hinbekommen habe?“ Selfcare und Work-Life-Balance sind auch eher Themen unserer Zeit heute.
Es gab Zeiten, da bin ich morgens mit der Concorde nach NYC geflogen, habe im Studio gearbeitet, dann einen Nachtflug zurück nach Europa genommen und stand am nächsten Morgen in einem anderen Studio. Da habe ich mir schon viel zugemutet, aber wenn du jung bist, geht das irgendwie klar. Auf der anderen Seite war ich lange Zeit Vegetarierin und habe immer auf meine Gesundheit geachtet, das war ja auch damals schon ein Thema.

Aber Work-Life-Balance war damals eher kein Thema, oder?
Ich wollte das auch nicht. Das war mein Leben. Entweder hatte der Partner dann Verständnis oder es passte nicht.

Es geht ja auch darum, wie Sie sich selbst behandeln, nicht nur Ihren Partner.
Genau, aber ich habe gerne gearbeitet, das war meine Leidenschaft. Ich liebe die Fotografie, ich liebe die Mode. Es war auch mein Wunsch, darin aufzugehen.

Rouge Coco Lippenstift 444 Gabrielle CHANEL, Stylo Yeux Waterproof Eyeliner 88 Noir Intense CHANEL, Blazer FILIPPA K.
Rouge Coco Lippenstift 428 Légende CHANEL, Le Crayon à Lèvres Lippenkonturenstift 172 Bois de Rose CHANEL, Look CHANEL

Ich denke, dass wir mehr Projektionsfläche waren. Niemand wusste so wirklich, wer die Person dahinter war, und das habe ich mir auch bewahrt.

Noir Allure Mascara 10 Noir CHANEL, Rouge Coco Lipgloss 122 Lido CHANEL, Bluse PETAR PETROV (über APROPOS)

Armin Morbach kommt dazu.
Armin Morbach: Wir sind beide 1971 geboren und haben in den 1980ern und 1990ern unsere Grundlagen gelegt, wir haben das so gelernt und auch geliebt, es hat uns niemand gezwungen, und natürlich gab es Urlaube. Zu meinen Anfangszeiten als Hair- und Make-up-Artist war das ein anderer Arbeitseinsatz als heute, weil es auch ein anderer Antrieb war.
Nadja Auermann:
Karl hat immer zu mir gesagt: „So etwas wie Urlaub gibt es für mich nicht. Wie langweilig. Warum sollte ich Urlaub machen? Mein Leben ist ein Urlaub.“ Für mich hat sich das erst geändert, als ich Mutter wurde. Für mich war dann auch klar, dass ich nicht mehr so arbeiten möchte wie zuvor. Ich dachte auch immer, dass meine Modelkarriere wie bei einer Hochleistungssportlerin zeitlich begrenzt sei und ich nur 5 bis 7 Jahre arbeiten werde. Das wurde uns auch so gesagt, dass mit 25, höchstens 30 alles vorbei sei. Dass wir heute in unseren Fünfzigern noch immer vor der Kamera stehen, damit konnte niemand rechnen. (lacht)

Das wurde uns auch so gesagt, dass mit 25, höchstens 30 alles vorbei sei. Dass wir heute in unseren Fünfzigern noch immer vor der Kamera stehen, damit konnte niemand rechnen.

Die meisten 1990er-Supermodels sind heute noch oder wieder aktiv. Das ist schon ein Phänomen.
Ich finde es gut, diesen Hochleistungssport in meinen frühen Zwanzigern durchlebt und zelebriert zu haben, und letzten Endes hatte ich doch auch einen Burnout. Als ich mit 26 mein erstes Kind bekam, wollte ich auch dieses viele Reisen nicht mehr. Auf einmal hatte ich panische Flugangst. Das war vollkommen untypisch für mich, im Gegenteil, ich dachte oft: „Falls mir jetzt etwas passiert, ist das in Ordnung, ich hatte ein so aufregendes Leben.“ Als ich dann aber nach New York sollte, habe ich gefragt, ob wir vielleicht mit der Queen Elisabeth, dem Schiff, fahren können. Plötzlich hatte ich die Verantwortung für ein anderes Wesen. Auch das ist Selfcare, Work-Life-Balance und letzten Endes Body-Positivity, auf seinen Körper zu achten und gut mit sich selbst umzugehen, gerade wenn man sich nicht sicher fühlt. Ich wollte auch nicht mit Kind und Nanny um die Welt fliegen, was für andere wiederum ein völlig realistisches Konzept ist – und das ist auch gut so.

Was haben Sie von Ihrer Karriere als Supermodel
fürs Leben gelernt,
Nadja Auermann?

Ich finde, man sollte grundsätzlich mit
allen erst mal reden
können. Das ist etwas,
das ich in diesem Beruf
fürs Leben
gelernt habe:
Nähe zuzulassen.

Was haben Sie von Ihrer Karriere als Supermodel fürs Leben gelernt?
Ich habe so viele tolle Menschen kennengelernt und damit meine ich jetzt gar nicht nur Leute aus meinem Business. Auf einmal holt dich ein Fahrer in Rom vom Flughafen ab und du führst ein wahnsinnig intensives Gespräch. Ich finde, man sollte grundsätzlich mit allen erst mal reden können. Das ist etwas, das ich in diesem Beruf fürs Leben gelernt habe: Nähe zuzulassen. Auch heute, hier am Set. Ich habe durch diese Branche viele langjährige Verbündete.

Nicht nur zu Personen, sondern auch zu Labels: Heute sind Sie von Kopf bis Fuß in CHANEL. Sie haben eine gemeinsame Historie mit dem Haus seit den 1990ern und Sie dachten, Sie würden allenfalls 5, 6, 7 Jahre arbeiten …
Ja, gerade zu CHANEL habe ich eine besondere Verbindung. Coco Chanel war eine Frau, die anderen Frauen dabei geholfen hat, sich zu emanzipieren, sie aus dem Korsett und diesem engen Schema befreit hat. Sie hat die Emanzipation im Grunde durch ihre Mode sichtbar gemacht, wollte Frauen so kleiden, dass sie sich wohlfühlen und auch nicht nur als Objekt gesehen werden, sondern als Mensch mit Persönlichkeit. Ich finde, das ist auch etwas, das mit Body-Positivity in Verbindung gebracht werden kann.

Wir waren ein reiner Frauenhaushalt, und viele Männlichkeitsmechanismen oder den Patriarchen, den Mann im Haus, das habe ich gar nicht kennengelernt. Vielleicht war ich sogar ein bisschen der Mann im Haus.

Ihre Persönlichkeit ist schon immer Teil Ihrer Aura, zumindest unterstellt man Ihnen immer wieder, die „unterkühlte Blonde“ zu sein, „die Unnahbare“. Etwas, das auch einer Marlene Dietrich nachgesagt wurde, nur weil sie nie wie die Süße von nebenan, sondern immer respekteinflößend wirkte.
Das ist bei mir, glaube ich, der Tatsache geschuldet, dass meine Schwester und ich mit einer alleinerziehenden Mutter groß geworden sind. Wir waren ein reiner Frauenhaushalt, und viele Männlichkeitsmechanismen oder den Patriarchen, den Mann im Haus, das habe ich gar nicht kennengelernt. Vielleicht war ich sogar ein bisschen der Mann im Haus. (lacht) Deswegen hatte ich schon immer einen ganz neutralen Blick auf die Gesellschaft. Meine Schwester und ich haben schon in den 1980ern vorm TV gesagt: „Was ist das denn für eine sexistische, dämliche Werbung?“, wenn eine Frau mit ihrem Dekolleté Bier bewerben musste. Das sind alles Themen, die damals schon von vielen gesehen wurden, aber gesellschaftlich nicht die Reichweite hatten. Als ich damals auf dem „Wetten, dass …?“-Sofa saß und sagte, dass ich einen Spruch nicht adäquat finde, war ich eben die Schwierige, das wurde früher nicht akzeptiert. Als Vegetarierin nach Alternativen im Restaurant fragen? Das hat schon gereicht, um als Zicke abgestempelt zu werden. Heute ist das glücklicherweise anders, es gibt überall vegane und vegetarische Optionen und es ist voll okay, sich gegen sexistische Kommentare zu wehren. Ich freue mich sehr für die heutige Generation, dass sich da viel bewegt hat – und für alle anderen auch.

Die gesamte Fotostrecke plus Interview jetzt in der Jubiläumsausgabe von TUSH

[Styling]
MIRA USZKUREIT
[Setbau]
THERESA ROHÉ Ballsaal
[Nägel]
ANKE SPREEBERG
[Talent]
NADJA AUERMANN Viva Models
[Bildbearbeitung ]
ADRIAN BRANDES
[Digital Operator]
JAN GEHRKE
[Fotoassistenz ]
VIKTOR EBELL
[Haarassistenz]
DOMENICA PAPA Julian Watson Agency
April 23, 2025
Archiv
Impressum / Imprint
Datenschutz / Privacy Policy
AGB / Terms of Use
Cookie Check