Nische ist Pop: Arca und Caroline Polachek im Interview bei der H&M&Berlin Club Night

Popkultur und Nische gelten oft als unvereinbares Paar und gehen doch Hand in Hand. Das wird sowohl in der Mode, als auch in der Musik immer wieder evident. Musikerinnen wie Alejandra Ghersi Rodriguez aka Arca und Caroline Polachek etwa, die in ihren Sounds und Looks so spezifisch und herausragend sind – wortwörtlich – unterscheiden sich zwangsläufig vom Mainstream und prägen ihn gleichzeitig seit Jahren vor – vor allem aber auch hinter den Kulissen des Musikbusiness. Durch ihre generell sphärischen Sounds, Carolines Songwriting und stimmliche Virtuosität und Arcas experimentell-elektronische Kompositionen.

Gerade sind Arca und Caroline in Berlin aufgetreten, gemeinsam mit Troye Sivan waren sie die Headliner der H&M Club Night im Berliner Kraftwerk zum zwanzigjährigen Jubiläum der H&M Designkooperationen, die wiederum selbst immer wieder ein Paradebeispiel für die Vereinbarkeit von Nische und Mainstream sind.

Neben legendären Markennamen wie Karl Lagerfeld, Versace und Moschino, steigern die Partnerschaften mit Labels wie Erdem oder Toga Archives, die eher Insider sind, die Fashion-Kompetenz von H&M und parallel die Reichweiten der weniger kommerziellen Modehäuser.

Margareta van den Bosch ist ehemalige Head Designerin von H&M und seit 1987 Teil des Unternehmens. Sie hat 2004 die Design-Kooperation mit initiiert. Auch sie war in Berlin zum Jubiläum: „Für mich sollten Kooperationen beide Seiten stärken, denn sie bieten etablierten Designer und Designerinnen die Möglichkeit, weltweit anerkannt zu werden, aber auch uns, junge aufstrebende Talente zu fördern …“

Arca bei der H&M&Berlin Club Night
Hair Flip: Caroline Polachek

Diese Wechselwirkung besteht auch bei der Zusammenarbeit mit musikalischen Acts. Charli xcx modelt die aktuelle H&M-Herbstkampagne. Sie selbst ist seit Jahren Songschreiberin für Popstars von Shawn Mendes bis Britney Spears, als Sängerin war sie selbst lange unter dem Radar, was sich spätestens mit ihrem Album „brat“ änderte. Im vergangenen Sommer hat ihre Musik die Göre zur Populärkultur gemacht und den „Hot Girl Summer“ aus der Mode gebracht.

Auch Alejandra / Arca arbeitet seit Jahren mit alternativen Vorstellungen von Genres, (Klang-)Körper, Geschlechterrollen und Alternative-Künstlerinnen wie Björk und FKA Twigs. 2021 wird sie selbst für ihr Album „KiCk i“ für einen Grammy Award nominiert. Caroline Polachek erhält 2015 eine Grammy-Nominierung für Beyoncés gleichnamiges Album, für das sie Co-Autorin des Songs „No Angel“ ist. 2024 dann folgt eine Grammy-Nominierung für ihr Album „Desire, I Want To Turn Into You“.

Nach ihren wirklich einnehmenden Performances im Kraftwerk Berlin hat unser Editor-at-Large Fabian Hart Arca und Caroline Polachek ein paar Fragen über die Herausforderung gestellt, Raum für die eigene Nische zu wahren und ihr gleichzeitig zu entwachsen.

„Der einzige Weg, etwas Bedeutungsvolles zu tun, ist, spezifisch zu sein." Caroline Polachek

TUSH: Wie wichtig ist es für euch, in einer Zeit, in der eure Karrieren, Popularität und Reichweiten weiter wachsen, Raum für die eigene Nische, den eigenen alternativen Standpunkt zu bewahren?

Arca: Es ist mir wichtig, mir meinen Freiraum zu bewahren, denn so kann ich mich diesem Autopiloten an Erwartungen entziehen, dem Kunstschaffende und ihre Arbeit unterworfen sind.

Caroline: Der einzige Weg, etwas Bedeutungsvolles zu tun, ist, spezifisch zu sein. Ich habe diese beiden Aspekte nie als Gegensätze gesehen.

TUSH: Habt ihr jemals die Sorge gehabt, zu populär zu werden?

Arca: Die Sorge ist eine Angst, die so weit von dem entfernt ist, woran ich denke. Ich sehe Popmusik als eine kulturelle Form der Vermittlung von Ideen.

Caroline: Zum Glück weiß niemand, wie Pop im Jahr 2024 aussieht oder klingt, warum sollte ich mir darüber also Sorgen machen?

TUSH: Gibt es ein bestimmtes Ritual, das die Kraft hat, euch jeweils in eure Bühnenpersönlichkeit zu versetzen, etwas, das euch dazu antreibt, euch auf euer Publikum einzulassen und mit ihm in Kontakt zu treten?

Arca: Der Make-up-Stuhl und dieser Haar- und Glam-Moment kommt schon einer Art Metamorphose gleich.

Caroline: Die Musik und die Energie des Publikums sind mehr als genug. Ich habe keine Persona, und deshalb ist es vielleicht auch nicht nötig, mich zu verwandeln.

TUSH: Welche anderen kreativen Ausdrucksformen haben einen großen Einfluss auf eure Musik?

Arca: Videospiele und der damit verbundene Katalog an inspirierenden Inhalten, Archetypen und Geschichten, die ich durch unterschiedliche Videospiele kennengelernt habe, haben meine Weltanschauung geprägt. Das hat meine Kunst ebenso beeinflusst wie Musik und Film.

Caroline: Spazierengehen, Träumen, sich morgens anziehen.

TUSH: Clubbing und Konzertbesuche haben auch eine eskapistische Tendenz, sie können geradezu eine Form von Widerstand und Therapie sein. Gibt es einen Moment, der dies für euch als Künstlerinnen, aber auch als Club-/Konzertbesucherinnen verkörpert?

Caroline: Ich werde nie Evian Christs Show auf dem Primavera-Festival 2022 vergessen. Es war die erste Festivalsaison nach der Pandemie, so dass alle wie entfesselt waren, und er füllte den Raum mit so viel dichtem Nebel, dass wir nicht einmal unsere Hände vor unserem Gesicht sehen konnten. Die Stroboskope bildeten psychedelische Muster und die Musik war so laut, dass man sie nicht wirklich hören, sondern nur spüren konnte. Im Club gab es überhaupt keine Luft, und alle waren schweißgebadet, aber keiner von uns ging vor dem Ende des Sets an die frische Luft, weil die Erfahrung zu schön war.

Arca: Für mich geht es weniger um einen einzelnen Moment, in dem Club-Räume eine Form des politischen Widerstands und Protests verkörpern. Ich würde eher sagen, dass es vielmehr damit zu tun hat, dass du auf der Tanzfläche in einen Zustand der Glückseligkeit gerätst, wenn du gemeinsam mit anderen ein ästhetisches Verständnis für eine Party- oder  Musikszene teilst. Das ist der Antrieb für neue Verbindungen und Projekte, die sich rhizomatisch innerhalb jeder lokalen Szene entwickeln.

TUSH: In diesem Jahr feiert H&M zwanzig Jahre Design-Kooperationen mit legendären Designern. Wenn du die Kreativdirektorin einer Club-Kollektion wärst, welches Outfit wäre unverzichtbar?

Caroline: Für mich bedeutet der ideale Club-Look, dass man ohne Tasche und ohne Garderoben-Marke auskommt, also würde ich wahrscheinlich eine Cargo-Jacke entwerfen, die um die Taille gewickelt toll aussieht …

Text Fabian Hart 

Fotos Copyright H&M

Caroline Polachek sieht Rot – ihr Auftritt bei der H&M&Berlin Club Night im Kraftwerk

English Version:

TUSH asked Arca and Caroline Polachek after their performances at the 20th anniversary event of the H&M design collaborations questions about the challenge of holding space for their own artistic niche and standpoint and at the same time growing beyond it.

TUSH: How important is it for you to hold space for your own niche, your alternative standpoint, at a time when your career, popularity and reach continue to grow?

Arca: It’s important for me to hold my space because that’s the way in which I resist the autopilot of what is expected from an artist around the context of their practice.

Caroline: Being specific is the only way to do anything meaningful. I’ve never seen these two things as mutually exclusive.

TUSH: Have you ever been worried about becoming too Pop?

Arca: Worry is an anxiety that is so far from what I think of when I consider pop music as a cultural form of communicating ideas.

Caroline: Thankfully nobody even knows what pop looks or sounds like in 2024, so why would I worry about it?

TUSH: Is there a certain ritual that has the transformative power you into your on-stage persona, something that pushes you to engage and connect with your audience?

Arca: The make-up chair, the hair and glam moment is a kind of metamorphosis.

Caroline: The music and the energy of the audience is already more than enough. I don’t have a persona, which is maybe why there’s no need to transform.

TUSH: What other creative outlets have an immense influence on your music?

Arca: Video games and the cannon of influential works and archetypes and stories explored through different video games that have formed my world building views have been as influential to my art as much as music and film.

Caroline: Walking, dreaming, getting dressed in the morning.

TUSH: Clubbing and concerts have necessary escapist tendencies, it can almost be a form of resistance and therapeutic. Is there a moment that epitomizes this for you as an artist, but also as a club/ concertgoer?

Caroline: I’ll never forget seeing Evian Christ play a club show at Primavera 2022. It was the first festival season back post-pandemic so everyone was rabid, and he filled the room with so much dense fog that we couldn’t even see our hands in front of our own faces. The strobes made these psychedelic retinal patters emerge and the music was so loud you couldn’t really hear it, only feel it. There was no air at all in the club and everyone was dripping with sweat but none of us would step out for air til the end of the set cause the experience was too beautiful.

Arca: Rather than being one moment that epitomises the club space as a form of political resistance and dissent. I would encourage the thinking that it has more to do with entering states of bliss on the dance floor with a shared aesthetic sensibility of a party or musical scene. That is the catalyst for new connections and projects to form rhizomatically within each local scenes.

TUSH: This year, H&M is celebrating twenty years of design collaborations with iconic designers. If you were the creative director of a club-related collection, which outfit would be included?

Caroline: For me the ideal club look means you can do without a bag and without coat check, so I’d probably design a cargo jacket that looks great wrapped around the waist …

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