Auf der Milchstrasse

Seren, Toner, Foundations und Masken in dicken Stiften, Cremes mit Cannabis, kobaltblaue Glitzerpigmente und Mascara namens Kush: Die 2015 gegründete amerikanische
Beautymarke MILK setzt auf Codes der Jugend- und Musikszene. Bis vor Kurzem meistgewünschtes Mitbringsel unter Beautykollegen, gibt es das Label jetzt in Deutschland. Lässig, cool, praktisch, Zeitgeist. Die Begehrlichkeit entsteht auch durch das Design und die Visuals: Ein Großteil der Models setzt sich aus Street-Castings zusammen; wären nicht nur die Gesichter zu sehen, könnten die Kampagnenmotive auch für Skateboards werben. Popularität auch durch den Background: Die Marke stammt aus dem angesagtesten Studioimperium New Yorks. Auf den ersten Blick „niche“ hat MILK den Weg zur Masse aber bereits beschritten, unübersehbar sind die MILK-Counter in den US-Stores von Sephora, egal ob in Kleinstädten oder in NYC. Das Parfümerie-Imperium hat die Marke von Beginn an unterstützt, auch finanziell. MILK grenzt sich vom gängigen amerikanischen Beautyglam mit Gold und Gloss ab und holt subkulturelle Ästhetik in den Mainstream.

mini cush mascara - milk

 

 

 

 

Die Gründer Zanna Roberts Rassi, Georgie Greville
und Mazdack Rassi starteten ihr Fotostudio in den ehemaligen
Lagerhallen im Meatpacking-District, expandierten dann
zur Kreativagentur und bauten ein Netzwerk aus Fotografen,
Künstlern, Musikern, aber auch Marken auf. Für den Schritt
zur Brand fehlte nur noch die Produktexpertise. Dafür kam
Dianna Ruth dazu – sie entwickelte die veganen Formeln.
Heute werden in den Milk-Studios Victoria’s-Secret-Kataloge
oder Vogue-Editorials geshootet, aber auch Events wie der Geburtstag
von Cara Delevingne oder Album-Releases gefeiert –
Letztere im hauseigenen Musikkeller, gestylt wie eine ranzige
Bar in Berlin. Den Spagat aus Mainstream und Subkultur hat
Milk drauf. Das kleine Studio hat sich zu einer Art Soho-House
der Medien entwickelt, Matcha in vielen Varianten wird in den
hauseigenen Bars serviert, 80er-Jahre-Spielkonsolen stehen im
Equipmentraum, während nebenan die Kardashians shooten.
´Wir trafen die Mitbegründerin, Georgie Greville, heute
Art-Direktorin der Marke, und Produktentwicklerin Dianna
Ruth im Milk-Headquarter zum Interview.

matcha toner - milk
kush fiber brow dutch - milk
flex concealer cinnamon - milk
lip + cheek swish - MILK

VON EUROPA AUS BETRACHTET WIRKEN VISUALS AUS
DEN USA OFT SEHR GLATT, POLIERT, PERFEKT – UND
ES GEHT VIEL UM KLASSISCHE ATTRAKTIVITÄT. MILK IST
ANDERS. WIE ANDERS?

GEORGIE: Ich denke, Frauen sind smarter, sie brauchen kein sexy Girl, das ihnen weismachen will, dass sie diesen oder jenen Lippenstift wollen. Uns hat das ja auch nicht angesprochen! Wir sind normale Frauen, haben ein echtes Leben – und es ist gut, dies auch zu kommunizieren. Keiner muss zum „Dreamgirl“ werden. Ich bin froh, dass es sich weiterentwickelt, dass wir auch Transgender sehen und Männer.
DIANNA: Vielleicht läuft viel nackte Haut und sexy auf Instagram noch, weil es so einfach zu verstehen ist. Aber wenn es um Beautyprodukte geht, schauen die Leute doch darauf, was sie sich auf die Haut schmieren und was auf lange Sicht effektiv ist.

ES GEHT UM DEN „SPIRIT“?

G Absolut! Aber es liegt auch daran, dass New York die Base ist. Menschen kommen hierher, um sich neu zu erfinden, und gleichzeitig zieht es die ambitioniertesten, zielstrebigsten
Leute an. Wir haben hier auch die größte Gay-Community, und dafür gibt es einen Grund – hier kann man frei sein. Es sind Menschen aus aller Welt in der Stadt, nicht nur „New-York-People“ – und der Spirit ist auch in unserer Marke. Wir machen moderne Produkte, die auch sehr hohen Ansprüchen gerecht werden und global funktionieren.

VOR VIER JAHREN HABT IHR MILK GEGRÜNDET, JETZT
KOMMT MILK NACH DEUTSCHLAND – WAS HAT SICH
SEITDEM IN DER BRANCHE GETAN?

G Heute sind die Leute viel wachsamer, was die Inhaltsstoffe angeht. Wir alle sind aufmerksamer, auch was das Soziale angeht oder Nahrungsmittel. Glücklicherweise haben wir das von Anfang an bedacht, weil es für uns schon immer wichtig war. Inzwischen gibt es Stores, die nur noch cleane Beautyprodukte verkaufen. Als wir auf den Markt kamen, existierte das noch nicht. Der soziale Wandel zeigt sich an der Optik der Beautyindustrie. Es gab wenig oder keine Make-up-Brands, die auch Männer zeigten – jetzt erscheinen ganze „Male“-Linien. Wir haben schon immer ein sehr diverses Casting gehabt, für uns ist das normal, jetzt fangen aber viele damit an.

WAR ES SCHWER AM ANFANG?

G Sephora hat uns sehr unterstützt, das hat es einfacher gemacht. Sie haben gesehen, wofür wir stehen, dass wir authentisch die Jugendkultur reflektieren. Sie haben das Potenzial erkannt und die Lücke im Markt. Das gab uns natürlich Selbstbewusstsein und den Mut, andere Produkte als die Mitbewerber zu lancieren. Wie Kush Mascara. Was übrigens viele für eine schlechte Idee hielten, aufgrund der Drogenreferenz. Unsere Bildwelt ist nicht klassisch, weil wir nicht direkt Produkte damit anpreisen, sondern erst mal für unsere Kultur begeistern: ein freies Leben, Individualität und Kreativität.

GEl eyeliner holographic - milk

HEUTE SCHEINT ES EINFACH, EINE MARKE NUR DURCH
VISUALS AUFZUBAUEN, Z. B. ÜBER SOCIAL MEDIA. WIE
DENKT IHR DARÜBER?

G Mittlerweile gibt es sexy Zahnbürsten, alles muss instagrammable
sein. Und wirklich alles kann cool erscheinen – daraus
schlagen die Leute natürlich Kapital. Die Herausforderung ist
dann eben, wirklich Qualität zu entwickeln, von den Visuals
bis zum Produkt. Wenn es um Inhaltsstoffe geht, zu schauen,
dass diese auch im Einklang mit der Umwelt hergestellt werden,
wie sich der Konsum auf die Erde auswirkt: Das macht
den Unterschied. Wir haben’s ja mit Fastfashion gesehen –
„Was bringt mir das? Wie fühle ich mich damit?“. Diese
Fragen stellen sich immer mehr Menschen. Wenn du nicht für
etwas stehst, wirst du auch als Marke nicht lange überleben.

IST DAS BEWUSSTSEIN DENN SCHON IM MAINSTREAM
ANGEKOMMEN?

G Es wächst und wächst.

SPEZIELL MATCHA, EIN INHALTSSTOFF, DER BEI EUCH IM
FOKUS STEHT, GILT ALS SEHR TRENDY. GIBT ES NICHT
AUCH EIN RISIKO, ZU HIP ZU SEIN? WIE FINDEN WIR
MATCHA IN ZEHN JAHREN?

D Alles, was wir verarbeiten, ist von hoher Qualität, das
einen Trend überdauert. Wichtig ist: Es darf nicht aufgesetzt
wirken. Beispiel CBD: Das ist momentan sehr angesagt,
aber wenn es nicht zur Identität der Marke passt,
merken es die Menschen. Wir sind mit einer Kultur verbunden,
deshalb wirkt es nicht fake, wenn unsere Mascara
Kush heißt und Cannabidiol enthält.

G Hier kommt es ja wieder auf die Message an, das große Ganze
sozusagen. Was bringst du den Leuten außer Produkten? Und
dann: Was ist der Inhalt? Qualität und Integrität – das ist
wichtig. Für uns bedeutet es: Authentizität und Individualismus
unterstützen, Diversität wirklich leben und etablieren.

EIN KLEINES BEISPIEL?

G Ein paar unserer Mitarbeiter kommen von anderen Beautylabels,
und sie alle trugen Highheels, als sie hier anfingen.
Einige sagten sogar: „Ich weiß gar nicht, wie man
flache Schuhe trägt.“ Ich habe ja nix gegen Absätze, aber
jeder sollte sich entscheiden können. Und damit haben wir
hier im Beautybusiness im Grunde jetzt erst angefangen.

GEHT ES BEI MILK UM VERSCHÖNERUNG ODER TRANSFORMATION?

G Es geht definitiv darum, individuelle Schönheit hervorzuheben
– das Spektrum dafür ist aber groß. Du kannst ein
Produkt auftragen und dich tausendmal besser fühlen –
oder zehn Schichten auflegen. Die Transformation ist eher
im Inneren. Wichtig ist die Energie, die ausgestrahlt wird –
wir geben dafür nur die Tools an die Hand. Keiner will
mehr in eine Schublade gesteckt werden, alle haben das
Recht, frei zu sein und zu experimentieren.

IM URAMERIKANISCHEN SINNE? DU KANNST ALLES SEIN,
WAS DU WILLST?

G Ganz genau! Ich bin in Australien geboren, mein Vater ist
Brite und ich bin an verschiedenen Orten aufgewachsen.
Dieses progressiv Positive ist etwas sehr Amerikanisches.
Man erwartet hier quasi, dass du nach den Sternen greifst.
Einige finden das vielleicht nervig, dieses Enthusiastische.
Aber du kannst deine eigene Realität entwickeln – in der
Beziehung tut sich gerade wieder etwas.

[interview]
LAURA DUNKELMANN
[Fotos]
Pr
September 24, 2019
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