Celine Love's Bedroom Pop

Wir haben mit der Sängerin Celine Love über authentisches Storytelling in ihrer EP „Aquarius Szn“, den Druck, ein Good Girl zu sein und DIY-Recording aus dem Kleiderschrank gesprochen

 

Denkt man an Musiker:innen vergangener Jahrzehnte, besteht der Tenor, der zu dem Anlaufen der Karriere führt, aus schicksalhaften Begegnungen. In mysteriösen Venues, Angesicht zu Angesicht, in einer Verkettung zufällig aneinander gereihter Ereignisse. Doch mit den unendlichen Möglichkeiten des World Wide Web kann jede:r ein Künstler sein – Kreativ und ohne Barrieren aus dem eigenen Schlafzimmer oder Kleiderschrank. Denn auch dort entstehen karriereweisende Werke wie Celine Love’s Debut EP „Aquarius Szn“, die am 16. Februar Prämiere feierte. Gefüllt mit einer samtweichen Stimme, nahtlos ineinandergreifenden Vocals und waschechten Gefühlen. Alles Attribute, die die Songs der Sängerin, mit afroamerikanischen und jamaikanischen Wurzeln auszeichnen. Multitasking im Repertoire, schreibt sie Songs aus eigener Feder, die sie als Bedroompop-Artist, selbst produziert und online für alle zur Verfügung stellt. Das Genre, welches das Stilmittel einer neuen Künstler:innen Ära ist, die das Internet zu ihrer Spielwiese auserkoren haben, hat sich mit seiner algorithmisch getriebenen Zugänglichkeit und durch Staying-Home beflügelt, zu einem regelrechten Tsunami entwickelt – der von zu Hause aus Wellen schlägt.

 

 

 

So trifft Celine Love von Hamburg über Berlin bis in ihre aktuelle Wahlheimat London einen Nerv der Zeit und schafft es mit gekonntem Storytelling aus dem Coming-of-Age Sujet zu begeistern. Denn ihre Songs sind nahbar und strotzen nur so vor persönlichen Bezügen, die auch vor Bereichen wie Mental Health, Druck und der Frage, wie man die eigenen Kapazitäten schützen kann, keinen Halt machen. Angefangen als akustisches Duo aus Stimme und Gitarre, steuert sie mit ihrer EP Aquariuz Szn in eine neue Richtung. Die vor allem durch ihre Zusammenarbeit mit dem R&B/Trap Produzenten TR33, eine weitere Facette Love zeigt: Melodischer Soul trifft elektronische Klänge, die zum Tanzen und Zuhören einladen. Direkt und ohne Filter erzählt die als Lockdown-Projekt gedachte EP vom „Twenty-Something“-Sein mit all seinen Höhen und Tiefen. Produziert und aufgenommen im Kleiderschrank der Sängerin – mehr Bedroompop und Selbstermächtigung geht nicht and we love.

Wo findest du musikalisch und persönlich Schönheit und Inspiration?

Ich setze mich nicht unbedingt hin und sage, jetzt möchte ich einen Song schreiben. Es sind oft Unterhaltungen, die ich mit Freunden habe. Meistens bin ich von einem Gespräch, Erlebnis oder einem Film, den ich gerade schaue, inspiriert. Dann notiere ich mir kleine Ideen, die mir dabei in den Kopf kommen und über die ich schreiben möchte. Wenn ich mich dann hinsetze, um einen Song zu entwickeln, habe ich dadurch schon kleine Lyrics, die ich über den Tag gesammelt haben.

 

Das bringt mich direkt zum Thema Storytelling. Die meisten deiner Songs haben einen roten Faden und erzählen kleine Geschichten. Passiert das einfach so oder ist das etwas, dass du dir aktiv vornimmst?

Es kommt ganz darauf an. Für diese EP war es ein bisschen anders. Ich habe die Songs gemeinsam mit einem Produzenten gebildet und währenddessen zu den Beats geschrieben. Mit kleinen Stichwörtern als Ausgangspunkt. Dann gehe ich meistens auf Websites wie Rhymezone und versuche dort Reime und Wörter zu finden, die man nicht unbedingt erwarten würde. Metaphern zu bilden, aber es nicht zu kompliziert zu machen. Denn ich möchte, dass man die Songs verstehen kann. Nichts davon verloren geht oder zu sehr analysiert werden muss. Es soll eine Balance entstehen, bei der man zuhören will und denkt: Oh, das war clever – versteht, ohne sich den Kopf zu zerbrechen.

 

In deiner Single „Twenty Five“ singst du darüber, dich in die Quarter Life Krise zu stürzen und auch allgemein behandelst du viele Coming of Age Themen in deiner EP „Aquarius SZN“. Lässt sie sich als eine Art Tagebuch oder Selfdiscovery Journey betrachten?

Ich würde es nicht unbedingt als ein Tagebuch beschreiben, weil vieles auch nicht genauso passiert ist. Manchmal lässt man die Dinge in Songs interessanter klingen, schöner oder trauriger. Einfach, damit es besser klingt. Aber mit „Twenty-Five“ wollte ich sehr ehrlich sein und einen Song schreiben, an den ich mich in zehn Jahren zurückerinnern kann und weiß, wie ich mich damals gefühlt habe. In dem Jahr ist so viel passiert: Ich hatte eine Beziehung, die in die Brüche gegangenen ist, ich bin ausgezogen und habe angefangen zu produzieren – vor allem mit anderen Leuten an meiner Musik zu arbeiten. Als ich den Song geschrieben habe, ging es mir wirklich gut. Und dieses Gefühl wollte ich festhalten, weil ich wusste, dass es nicht für immer so sein wird. Deswegen singe ich auch „ready for the quaterlife crisis“. Denn ich weiß: Jetzt geht es mir gut. Mal gucken, wie es mir mit 30 geht. Aber da ist dieser Song, von dem ich sagen kann: Genau so habe ich mich damals mit 25 gefühlt.

 

Schauen wir uns den nächsten Song der EP an: „Like You Like That“. Schon der Songtitel klingt wie eine Aufforderung, mehr zu sich selbst zu stehen – mit allem, was dazu gehört. Erzähl uns mehr darüber?

Mit „Like You Like That“ wollte ich etwas Cooles schreiben, was ein bisschen Bounce hat und poppiger ist. Aber ich wollte auch etwas schreiben, was aufrichtig ist. Nach dem Ende meiner Beziehung habe ich mich wieder wohl in meiner eigenen Haut gefühlt. Daran wollte ich mich festhalten und nicht, dass jemand anderes einfach in mein Leben kommen und das wieder kaputtmachen kann. “I can’t like you like that“, denn ich habe mich gerade wieder in mich selbst verliebt: Ich mag meine Locken, ich mag meinen Körper. Und ich wollte nicht, dass jemand Macht darüber hat und mir sagt, wie ich mich fühlen soll.

 

Zu diesem Gefühl passt dein Song „Good Girl“ ziemlich gut. Da singst du über diesen Druck in ein Raster reinzupassen oder einer Erwartungshaltung zu entsprechen. Wie ist das für dich?

„Good Girl“ ist wahrscheinlich der persönlichste Song der EP. Da bin ich, am meisten ich selbst. Oft denke ich: Oh, was würden meine Eltern denken? Was meine Freunde? Ich wollte damit einen Song schreiben, bei dem ich keine Angst habe ehrlich zu sein. Natürlich habe ich Tage, an denen ich mich so fühle, als ob ich mir selbst zu viel Druck mache – immer die fröhliche, smiley Celine zu sein. Die, die sich immer an die Regeln hält. Ich wollte mich davon befreien, weil ich einfach keine Lust mehr hatte, mich die ganze Zeit so angespannt zu fühlen. Dadurch hat es aber auch eine Weile gedauert, den Song zu schreiben. Ich habe es jeden Tag versucht, viel gelöscht und ihn wieder neu geschrieben. Denn ich wollte, dass er so verständlich wie möglich ist – damit die Leute sich darin wiederfinden können.

 

Du bist sehr offen mit deinen Gefühlen und zeigst dich von einer sehr verletzlichen Seite in deinen Songs. War es schwierig an diesen Punkt zu kommen?

Ich denke, weshalb es so gut geklappt hat, ist, dass ich nicht unbedingt geplant habe, so viel für die Songs zu machen. Letztendlich wurde es zwar meine Debüt EP, aus der ich viel gemacht habe. Aber als ich die Songs geschrieben habe, ging es darum, ein Lockdown-Projekt zu machen. Einfach um Spaß zu haben, ehrlich zu sein und nicht alles so zu überdenken. Ich bin eigentlich ein total overthinking Aquarius und ich glaube, dass ich mir von Anfang an keinen Druck gemacht habe, hat mir total geholfen.

 

Wenn wir über Lockdown Projekte sprechen, kommen wir direkt zu dem Genre Bedroompop. Viele Aspekte deiner Arbeitsweise, sei es das DIY-Produzieren und die Verbreitung über Online-Medien entsprechen der Definition. Findest du dich darin wieder und war das eine Chance für deine Kreativität?

Ich habe im ersten Lockdown angefangen, meine kleinen DIY-Produktionen zu machen. Dabei habe ich gemerkt, dass es total Spaß macht, den ganzen Tag an einem Song zu arbeiten und ihn am nächsten hochzuladen – ohne sich große Sorgen zu machen. Ähnlich hat es dann mit diesem Projekt angefangen. Ich habe die Songs mit einem Produzenten zusammen gemacht und das Projekt über Zoom geschrieben. Da war wenig Druck. Manchmal haben wir über sechs Stunden geschrieben und Musik gemacht. Einfach Zoom den ganzen Tag laufen lassen. Währenddessen waren wir spazieren oder haben gekocht. Lustigerweise habe ich die Vocals für die Songs alle zuerst im Studio aufgenommen, aber es hat nicht funktioniert. Es war einfach keine Studio EP, weil ich da das Gefühl nicht richtig vermitteln konnte. Das war verschwendete Zeit. Ich musste also wieder zurück nach Hause in meinen Kleiderschrank gehen und es hier aufnehmen. Denn so ist die Idee entstanden und das war das Gefühl, was ich vermitteln wollte.

 

Was ist das für ein Gefühl für dich, die Aufnahmen bei dir zu Hause im Schrank zu machen?

Es ist gemütlicher. Im Studio hat man auch immer diesen Zeitdruck – noch zwei Stunden und wir müssen raus. Oder Leute sind in der Umgebung und kommen vorbei. In so einer professionellen Umgebung entsteht auch ein Druck, perfekt singen zu müssen. Weil man ein hochwertiges Equipment benutzt und darauf natürlich seine beste Performance abgeben möchte. Bei mir zu Hause ging es einfach nur darum, die Geschichte zu erzählen. Natürlich will ich auch zeigen, dass ich singen kann, aber darum geht es in diesem Projekt nicht. Sondern darum, Spaß zu haben. Den hatte ich am meisten beim Einsingen der Backing-Vocals und der Arrangements – ganz ohne Zeitdruck.

 

Klingt das auch anders?

Ja, ich denke schon. Ich merke auf jeden Fall einen Unterschied. Bei einigen Songs mit größeren Produktionen ist es zum Beispiel besser, die im Studio aufzunehmen oder mit besserem Equipment. Bei dieser EP hat es sich jedoch viel besser angefühlt, es mit meinem eigenen zu machen. Die Aufnahmen haben für mich besser geklungen und ich mochte sie auch mehr. Vielleicht war es aber auch einfach ein Placeboeffekt – für mich persönlich aber die richtige Entscheidung.

 

Mit Gitarre und Stimme hast du angefangen. Möchtest du irgendwann zu deinen Anfängen zurück oder wird es für die Zukunft immer mehr eine Mischung aus elektronisch und akustisch werden? Wo führt deine musikalische Reise hin?

Gute Frage. Da mache ich mir gerade viele Gedanken drüber. Vor allem als ich die EP live bei der Release Show performt habe, ist mir aufgefallen, wie sehr ich es liebe, akustische Versionen von meinen Songs zu haben. Und generell auf der Gitarre zu schreiben. Das wird in den nächsten Songs definitiv eine größere Rolle spielen. Einfach, weil ich will, dass die Songs so stark wie möglich rüberkommen und das klappt am besten mit denen, die ich auch auf der Gitarre geschrieben habe. Generell freue ich mich auf die neuen Songs mit mehr Gitarren und mehr organischer Musik, die aber trotzdem noch diesen elektronische Blend haben. Insgesamt wird aber alles größer werden.

 

Das macht bestimmt viel Druck, auch dass du als Musikerin auf den verschiedensten Onlineplattformen aktiv sein musst?

An manchen Tagen ist es cool und an anderen das nervigste aller Zeiten. Am Anfang war es sehr stressig, weil ich nicht wusste, wie genau ich alles branden wollte. Dann habe ich gemerkt, dass ich das nicht unbedingt machen muss, denn für die Leute war meine Brand ziemlich klar. Dabei habe ich das gar nicht geplant, sondern nur das gepostet, worauf ich Lust hatte. Aber irgendwie hat da doch ein roter Faden existiert, ohne dass ich es wirklich versucht habe. Aber man vergleicht sich natürlich auch viel. Das wird, glaube ich, ein Battle für die nächsten Jahre sein – da die Balance zu finden.

 

Und wie klingt Celine Love?

Bestimmt gebe ich dir jetzt eine Antwort und in ein paar Wochen ist es wieder ganz anders. Das ändert sich jeden Tag. Im Moment ist es R&B, Indie-Pop, aber mit Soulfolk-Roots.

 

Und wenn du dem Ganzen eher ein poetisches Gefühl zuordnen müsstest?

Ehrlich und melancholisch-warm.

 

Das klinkt schön. Jetzt, wo dein Album draußen ist, wie geht es weiter? Auf Instagram hast du bereits angekündigt, den Song „Black Limousine“ im Studio aufzunehmen.

Ja, „Black Limousine“ ist dieser eine Song, den ich vor sechs Jahren geschrieben und ungefähr zehnmal aufgenommen habe – niemals richtig. Jetzt habe ich einen Produzenten gefunden, mit dem ich mich sehr gut verstehe. Der mir zuhört, aber mich auch gut Challenged und neue Ideen hat. Aber „Black Limousine“ ist einfach mein Baby. Das ist der Song, den ich wirklich, wirklich, richtig machen will. Letztens haben wir die Vocals aufgenommen und deswegen hatte ich den Moment geteilt. Aber ich glaube, ich nehme ihn noch mal auf. Das habe ich ihm noch nicht gesagt.

 

Für alle, die den Song nicht kennen: Wieso ist Black Limousine so wichtig für dich und deine Künstleridentität?

Es geht um eine Warnung für mich selbst. Ich wollte, dass ich mich immer daran erinnere, wer ich bin – als Künstlerin. Und daran, was ich machen und vermitteln will. Dass ich ja nicht zu sehr an das Geld und den Rum denke, der mit einer Karriere daherkommt. Es ist ein Song, den ich seit sechs Jahren live spiele und die Reaktionen sind immer komplett anders. Es ist dieser eine Song, der so Celine ist – vor allem live. Auf ihn reagieren die Leute immer am meisten. Und deswegen bin ich sehr nervös, ihn fertigzumachen. Ich weiß auch gar nicht, ob das jetzt die nächste Single werden wird, aber ich freue mich sehr, ihn endlich zu veröffentlichen – mal gucken, wann

INTERVIEW FATIMA NJOYA

PHOTOS Isa Hess

MAKE UP Isa Hess

CLOTHES Nada Dehni

STYLING Nada Dehni / Isa Hess

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