GESICHTER ZIEHEN

 

Eine lebhafte Mimik bedeutet auch immer, Emotionen offenzulegen: Was sich zwischen Stirn und Kinn abspielt, sagt, wer und wie wir sind. Klar, dass ein eingeschränkter Ausdruck, etwa durch Botox, Auswirkungen hat. Keineswegs nur negative

Die Mundwinkel ziehen nach oben, die Wangen heben sich leicht, um die Augen kräuselt sich die Haut ein wenig, Brauen und Stirn sind ganz entspannt, die Lippen geöffnet: So sieht ein herzliches Lächeln aus. Grinsen allein reicht nicht – wenn’s echt wirken soll. Was sich im Gesicht abspielt, ist direkter als das, was aus dem Mund kommt. Weniger kontrollierbar, spontaner, schneller – authentischer. Und auch deshalb so wirkungsvoll, weil nicht erlernt: Mimik zu äußern und zu deuten, ist uns angeboren, belegen z. B. Studien, veröffentlicht im Journal of Personality and Social Psychology. Mimik besteht aus zwei Komponenten: der Mikroexpression, quasi der erste flüchtige Gesichtsausdruck, die nicht zu kontrollierende „Zuckung“, die sich in den ersten 40 bis 500 Millisekunden abspielt und vom limbischen System, also dem Emotionszentrum des Gehirns, geleitet wird. Darauf folgt die Makroexpression, die länger als 500 Millisekunden dauert und aus dem pyramidalen System, einer Ansammlung von Neuronen, gesteuert wird.

Wir sind soziale Wesen und auf emotionale Reaktionen angewiesen

Wer seine Aufmerksamkeit trainiert und Signale von Mikro bis Makro verstehen lernt, wird Gefühle und Wünsche anderer besser, eindeutiger erkennen – also seine Empathie schulen. Das hilft nicht nur in privaten Beziehungen, sondern auch in Verhandlungen oder im Management. Gleichzeitig lässt sich auch die eigene Mimik intensivieren oder mildern.
Ursächlich geht es aber bei der Gesichtserkennung nicht ums Mitfühlen. „Als Allererstes checken wir: Ist die Person Freund oder Feind? Dann: Wer hat die Hosen an von uns beiden? Und schließlich: Ist sie/er mir sympathisch?”, erklärt Dirk W. Eilert, Experte für Mimikresonanz. Quasi der biosoziologische Schnellcheck. Für die raffiniertere nonverbale Kommunikation stehen uns dann rund 3000 Varianten zur Verfügung, unser Gesicht zu verziehen, mal mehr sichtbar, mal subtiler. „Je bewegter die Mimik, umso attraktiver wird eine Person wahrgenommen. Regungslosigkeit wirkt kühl und desinteressiert”, so Eilert. „Wir sind soziale Wesen und auf emotionale Reaktionen angewiesen.“ Ein Pokerface büßt aber nicht nur Sympathie ein, fehlende Regungen können das Gegenüber schlicht irritieren. „Botox kann Muskeln lähmen, die für die Mimik wichtig sind”, so Eilert. „Bilden sich um die Augen keine Lachfältchen mehr, fehlt ein Signal für ‚echtes’ Lachen.“ Unwillkürlich fragen wir uns: Was meint die Person wirklich?

Eine Reduzierung des mimischen Ausdrucks hat jedoch auch Vorteile. Eine tiefe Falte, die sich auf der Stirn eingegraben hat beispielsweise, ist nicht immer ein Zeichen für Zorn, sondern kann sich genetisch bedingt derart ausgeprägt haben. Dem Gegenüber sendet sie trotzdem das Signal „Ärger“ – selbst mit einem echten Lächeln nicht wettzumachen! Wird die Falte entfernt, verändert sich der Ausdruck also zum Positiven – und entspricht ebenso viel mehr der echten Emotion. Der so eingeschränkte Ausdruck hat aber nicht nur Wirkungen nach außen, sondern auch nach innen, auf uns selbst: „Facial Feedback“ genannt. Unsere Emotionen werden durch unsere eigene Mimik beeinflusst. Was jeder kennt: Schaut man in den Spiegel und sieht sein eigenes Lächeln, kann dies das Gefühl heben – ist das Lächeln eingeschränkt, gehen auch die Emotionen nicht mit.

Die Selbstwahrnehmung verändert sich und damit auch die Stimmung. Das passiert einerseits durch den Anblick, andererseits aber auch durch die tatsächliche Muskelbewegung. Funktioniert also auch ohne Spiegel. Sind die „Freude-Muskeln“ nicht in Bewegung: weniger Euphorie. So erscheint es auch gar nicht abwegig, dass Botox sogar gegen Depressionen wirken könnte. Bei ersten klinischen Studien des Zentrums für Seelische Gesundheit an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und der Asklepios-Klinik für Gerontopsychiatrie in Hamburg wurde die Schwere depressiver Symptome sechs Wochen nach der ersten Behandlung um etwa 50 Prozent gemildert. Botulinumtoxin scheint in der Lage, auch negative Signale zwischen Nerven und Gehirn zu blockieren.

Aber zurück zur nonverbalen Kommunikation: Ein Lächeln mag sich wie ein universelles Signal anfühlen, das Verständnis und der Umgang damit sind aber nicht überall gleich, die emotionale Intensität variiert. Das, was wir als positiv empfinden, wie wir also mit Mimik umgehen und sie interpretieren, ist stark von der Kultur geprägt. In Japan z. B. werden aus Höflichkeit generell weniger Emotionen gezeigt. Man achtet daher eher auf die Augen als auf den Mund, da sich diese kaum verstellen lassen, auch wenn der Mund unbewegt bleibt. Das drückt sich sogar in mobilen Nachrichten und Chats aus. Während wir ein Lachen mit : ) symbolisieren, benutzen Japaner dafür Dächer und Unterstrich: ^_^. In den USA oder China dagegen wird eher verschwenderisch mit der Mimik umgegangen: Ein Lächeln zur Begrüßung ist absolut obligatorisch. Je breiter, desto besser. Auch wenn der Person überhaupt nicht gut zu Mute ist oder sie keine Freude verspürt. Fürs „Facial Feedback“ problematisch: „Nur ein freiwilliges Lächeln hellt die Stimmung auf. Ist es erzwungen, setzen wir also eine Maske auf, bedeutet das psychischen Stress”, so Mimikexperte Eilert.

In China gibt es seit gut zwei Jahren deshalb einen „Faceless Day“ – große Unternehmen „gestatten“ ihren Mitarbeitern, einmal im Monat mit Maske zur Arbeit zu kommen, um Gesichtsmuskeln und Nerven zu entspannen. Wobei sich ein „Faceless Day“ für Tage mit wenig Publikumsverkehr empfiehlt: In starre Visagen zu blicken, ist dann ja auch wieder nicht gut für die Kommunikation – stünde ein Maskenmann hinter dem Bankschalter, verschöben wir das Anlagegespräch sicher lieber. „Wie fühlt es sich an, mit jemandem zu sprechen, der eine Sonnenbrille trägt? Nur ein kleiner Part des Gesichts ist dann verdeckt und trotzdem irritiert es uns schon stark”, so Eilert. Schon das kann uns aus dem Konzept bringen. Wie muss es also erst Kindern ergehen, die mit stark gebotoxten Müttern oder Vätern groß werden und beim Fläschchentrinken in superglatte Gesichter gucken?

„Die Mimik der Eltern gibt Kindern eine Orientierung”, so Eilert. Sie lernen, auch durch Mimik, was falsch, richtig, schmerzhaft, schön oder lustig ist. „Stellen Sie sich vor: Ein Kind fällt von der Schaukel und schaut seine Mutter an und erwartet eine Reaktion. Verzerrt die Mutter das Gesicht schmerzerfüllt, wird auch das Kind losbrüllen“, erklärt der Experte. Tut sie es nicht, bleibt das Kind ruhiger. Klingt erst einmal ganz gut. Doch was, wenn es immer wieder von der Schaukel knallt, weil es nicht begreift, dass dies nicht Sinn der Sache ist – und sich schließlich ernsthaft verletzt?
„Wenn der Ausdruck der Eltern eingeschränkt ist, wird es speziell für kleine Kinder schwierig, die ja nur in Gesichtern lesen können. Informationen und Emotionen sind dann stark reduziert für das Kind”, so Dr. Ed Tronick, Psychologie-Professor der Universität Massachusetts für Kinderheilkunde und Psychiatrie. Klar, Stimme und Körpersprachen sind ebenso wichtige Faktoren und ein Gesicht muss massiv bearbeitet sein, damit der emotionale Ausdruck so stark beschränkt ist. Aber: Schon ein wenig weniger Regung bedeutet weniger Gefühl. Und ist auch nur ein Aspekt. Denn Babys und Kleinkinder imitieren, was sie sehen, und beginnen so überhaupt Emotionen zu verstehen und einzuordnen. Sieht der Säugling also kein echtes Lächeln, wird er auch nicht lernen, dieses nachzuvollziehen. Denken wir ans „Facial Feedback“, die emotionale Steuerung durch die Gesichtsmuskulatur, wird es später möglicherweise schwierig mit der Empathie. Apropos: Auch als Erwachsene imitieren wir die Mimik unseres Gegenüber, ebenso mit der Absicht, Gefühle zu verstehen. Auch das kann Botox blockieren, belegt eine Studie der University of South California.

Verzerrte Wahrnehmungen sind allerdings auch ohne Spritze nur durch Make-up möglich. Ein extrem hochgezogener Brauenbogen zum Beispiel wirkt dauererstaunt. „Hochgezogene Augenbrauen signalisieren Interesse und sind eigentlich ein Flirtsignal”, erklärt Mimikexperte Eilert. Tiefergelegte Brauen dagegen wirken geradezu erdrückend, egal wie viel Glow die Haut hat. Anders als bei der Veränderung durch Botox bleibt das eigene Gefühl aber unangetastet. Unter bösen Brauen kann durchaus ein sonniges Gemüt stecken.

[Text]
Laura Dunkelmann
[Artwork]
Hedi Xandt
November 20, 2017
TUSH 41
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