Soul Food

 

Er rappt über seine Kindheit und Jugend, den Alltag, seine „Hood“, natürlich, vor allem aber über Schmerz, Verlust und seine Traurigkeit. Loyle Carner hat dafür einen, seinen Sound gefunden. Seine komplexe Reimtechnik, der schlendernde Stil, der smoothe Rap – Meilen entfernt von protzig-aggressivem Gangsta-Macho – gehen nicht nur ins Ohr. Der Flow der Musik und der Ton seiner Stimme dringen tiefer. HipHop als Therapie – für ihn und seine Fans. Soulfood eben.

My mother said there’s no love / Until you show some / So I showed love / And got nothing / Now there’s no one / You wonder why I couldn’t keep in tow son/ I wonder why my dad didn’t want me / Ex didn’t need me / Half of ’em left
ISLE OF ARRAN

„Es ist wichtig, eine Aussage zu haben, davon lebt die Kunst. Wenn mich jemand fragt, was es braucht, um ein guter Rapper zu sein, sage ich, dass es wichtig ist, etwas erzählen oder sagen zu können. Es geht nicht darum, wie du klingst oder wie du aussiehst, sondern dass du etwas Wichtiges zu sagen hast.“ Mit 22 Jahren hat Benjamin Coyle Larner – wie er „bürgerlich“ heißt – bereits eine Menge davon auf Lager. Geboren im Londoner Süden, wächst er mit seiner Mutter Jean, einer Lehrerin für Kinder mit Lernschwierigkeiten, dem jüngeren Bruder Ryan und Stiefvater Steven in Crydon auf. Sein leiblicher Vater, der aus Guyana stammt, verlässt die Familie früh. Das erste Gedicht schreibt Ben, als er sieben ist. Es handelt von seinem besten Freund, der, ebenfalls sieben Jahre alt, an Leukämie erkrankt und stirbt. Ermutigt von seiner Lehrerin, die ihn das Gedicht vor der gesamten Klasse vortragen lässt, macht er weiter. Wie besessen. Schreibt und schreibt. Immer, überall, auf allem, was ihm in die Finger kommt. Die Poesie trifft seinen Nerv, vor allem die des Dichters Benjamin Zephaniah. Zephaniahs Mission ist es, Poesie überall dorthin zu bringen, wo die Leute keine Bücher lesen, seine Lesungen erinnern an Konzerte. Heute streut Loyle Carner bei seinen Auftritten immer wieder Gedichte ein. Ausgerechnet in der Sprache findet er, dem früh Legasthenie attestiert wird, Zuflucht, Trost und Kraft, übt sich dazu auf dem Schulhof in Rap-Battles. Tatsächlich entstammt auch sein Künstlername Loyle Carner einem Buchstabendreher seiner eigenen Aussprache, „a happy accident“. Sporadischen Auftritten hier und da folgt der erste offizielle Gig 2012 in Dublin, als Support von MF Doom. Doch der Rap steht für ihn erst an zweiter Stelle. Es ist die Schauspielerei, die ihn noch stärker fasziniert, seit er mit 13 eine Minirolle im Roland-Emmerich-Film „10.000 B.C.“ spielte. Nach dem Schulabschluss absolviert er Kurse an der BRIT School für darstellende Künste und Technologie in London. Alma Mater unter anderem von Adele und Jessie J. Schließlich bekommt er eins der begehrten Stipendien für das renommierte Drama Centre London. Der Februar des Jahres 2014 verändert jedoch alles. Sein Stiefvater Steven, den er liebt und verehrt, stirbt an den Folgen eines epileptischen Anfalls.

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Snatch of a man attached / Wrapped in his match day, happs with his lassy latched / My even Steven leaves with out a reason / Grieving still he’s leaving me with something to believe in
CANTONA

Ohne dass die Mutter ihn drängt („Ich hatte das Gefühl, für meine Familie da sein zu müssen“), bricht er das Studium ab und konzentriert sich auf die Musik. Motto: „Lass es mich mit dem Musikding versuchen, wenn’s nicht klappt, such ich mir ‘nen Job.“ Ein halbes Jahr später der Durchbruch: auf der Tour mit dem amerikanischen Rapper Joey Bada$$. Er rappt sich die Wut, den Zorn und den Schmerz von der Seele und realisiert, mit welcher Intensität seine Worte andere erreichen. „Immer wieder kamen Leute zu mir, bedankten sich dafür, wie sehr ihnen meine Musik hilft. Das hat mir mehr bedeutet, als sie sich je werden vorstellen können.“ 2015 veröffentlicht er „Cantona“, einen der Schlüsselsongs, die auf der Bühne so zündeten, dreht auch ein Video dazu. Darin streift er durch das Elternhaus auf der Suche nach einem Trikot des einstigen Manchester-United-Spielers Eric Cantona, dessen glühender Fan sein Vater war. Knapp 500.000 YouTube-Aufrufe. Das Trikot hat er bei jedem Auftritt dabei. Überwältigt auch von dieser Resonanz, legt er den im Ton noch deutlicheren „BFG“ nach. Beide Titel erscheinen auf seiner EP „A Little Late“, produziert von Rebel Kleff, einem seiner engsten Freunde. Auftritte mit Kate Tempest und Nas u. a. auf dem Glastonberry Festival holen ihn endgültig aus der Geheimtippecke. Prompt kürt ihn die BBC zu Englands neuer Rap-Hoffnung.

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I drowned when you disappeared / I need you near, ’cos I’m the boy but you’re the man / I can’t defeat the fear / Everybody says I’m fucking
sad / Of course I’m fucking sad, I miss my fucking dad
BFG

Anfang 2017 dann sein Album „Yesterday’s Gone“. Mit dem ist er momentan auf Dauertour. Quer durch Großbritannien, aber auch Europa. Stationen in München und Berlin inklusive. Was ihn begeistert: „Die Leute sind offen für meine Musik. Hier hat keiner Angst, nicht cool zu wirken. In London wollen alle cool sein.“ In einem Genre, das von Prahlerei und Aggression geprägt ist, sorgt Carners Haltung für angenehm tiefsinnigere Töne. Oder, wie er es selbst nennt, „honest old school“. Exklusiv für sich reklamiert er das nicht. Denn sein warmer mit echten Instrumenten eingespielter Sound erinnert bewusst an den US-HipHop der Neunziger, von A Tribe Called Quest, Common und Mos Def. Dass sie zu seinen Idolen gehören, ist auf „Yesterday’s Gone“ durchgängig zu hören. Doch den ganz eigenen Dreh bekommen Carners Songs, abgesehen vom eindeutig englischen Akzent, durch die ständige Präsenz der Familie, deren Geschichte, seine Loyalität und Bodenständigkeit. „Ich sage immer wieder, dass mich meine Mutter und mein Bruder brauchen, was auch stimmt, aber die Wahrheit ist, dass ich sie zehnmal mehr brauche.“ Ab und an holt er Mutter und Bruder auch mit auf die Bühne; sie übernehmen Parts in seinen Songs. So überrascht auch das herzerweichende Ende des Albums nicht: In „Sun of Jean“ trägt seine Mutter ein Gedicht über ihren Sohn vor. Auf der Bühne und im Studio gelingt es Loyle Carner, seinen Gefühlen Rahmen zu geben, seine überschäumende Energie (mit 17 diagnostizierte man bei ihm ADHS) bewusst zu lenken. Medikamente nimmt er längst nicht mehr, er hat ein anderes Rezept: Kochen! Ebenfalls eine familiäre Disposition, die er seinem Großvater verdankt (der lebte auf der titelgebenden Insel Arran in Schottland).

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His eyes shone with wonder / Music flowed through him like a current / He turned the world upside down and we’re richer for it / He was and is a complete joy / The world is his / That scribble of a boy
SUN OF JEAN

„Das Kochen beruhigt dermaßen, es fordert alles, die komplette Aufmerksamkeit, du bist so fokussiert und konzentriert, das liebe ich. Da ist keine Zeit, kein Raum für was anderes, das ist pure Klarheit.“ Während einer Tour im letzten Jahr gründet er dann „Chilli con Carner“, eine kostenlose Kochschule für Kids zwischen 14 und 16, die wie er unter ADHS leiden. Er selbst steht dabei stundenlang hinterm Herd, bestärkt die Jugendlichen, kreativ und eigenwillig zu sein. „Manche erfahren zum ersten Mal Wertschätzung“, sagt Loyle Carner in einem Video, das er über das Charity-Projekt gedreht hat. Darin verrät er auch seinen Spitznamen, den er schon früh in der Schule bekam: Grandpa.

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[Realisation & Styling]
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Hauke Krause / Kult Artist mit Produkten von LESS IS MORE
[Setdesign]
Stefanie Grau
[Fotoassistenz]
Viktor Ebell
Dezember 19, 2017
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