Berührend, poetisch, fröhlich: Mit seiner Show, Schule und Philosophie inspiriert der berühmte Clown Slava Polunin zu einem glücklichen, authentischen Leben
Berührend, poetisch, fröhlich: Mit seiner Show, Schule und Philosophie inspiriert der berühmte Clown Slava Polunin zu einem glücklichen, authentischen Leben
Eine rote Nase in der Form eines übergroßen Tropfens, die weiß-wirren Haare und großen Schuhe: Der Hauptcharakter von „Slavas Snowshow“ ist ein Clown, keine Frage.
Aber nichts in dem Stück, dass Slava Polunin entwickelt hat, erinnert an den klischeehaften Slapstick und einfachen Ulk. Zu zarter, ultraatmosphärischer, poetischer Musik entfaltet sich auf der Bühne eine philosophische Geschichte, die meist alle zum Lachen bringt, aber vor allem berührt. Das Glücksgefühl entsteht nicht durch Gags, sondern auch durch Nachdenklichkeit und Melancholie. Eine sehr menschliche Geschichte, leicht erzählt, für Erwachsene wie Kinder, mal am Broadway in New York, mal in Moskau – Musik und perfektionierte Darstellungskunst, minimale, aber effektvolle visuelle Effekte und Gesten erzählen diese „Tragicomedy“ sowohl auf kindliche wie auf künstlerischste Art.
Selten steht der 1950 geborene Wjatscheslaw „Slava“ Iwanowitsch Polunin noch selbst auf der Bühne, Nachwuchs bildet er in seiner Academy Of Fools aus. Die Schule ist Teil des Moulin Jaune, einer Art Künstlerkolonie in der Nähe von Paris und sein heutiges Zuhause – hier veranstaltete er regelmäßig öffentliche bunte Happenings, ganz im Sinne seiner Philosophie als Clown, Künstler, Mensch. Das Ziel ist: zurück zum state of mind eines 5-Jährigen zu kommen, frei, fröhlich, neugierig, authentisch.
Zahlreiche Auszeichnungen hat Polunin für seine außergewöhnliche Inszenierung gewonnen und gilt als einer der berühmtesten Clowns der Welt.
Schon 1979 gründete er seine erste Clownschule in seiner Heimat, der damaligen Sowjetunion, 1985 die erste Clownkonferenz, Premiere der Snowshow 1993, bis heute in mehr als 50 Ländern gespielt.
Vor ein paar Jahren sehe ich die Show das erste Mal: Gänsehaut, ein paar Tränen, Lächeln, Seifenblasen, (künstlicher) Puderschnee – gerührt durch Eindrücke und Emotionen, nachdenklich und dennoch glückselig; diese Mischung habe ich selten nach einem Theater- oder Performanceabend gefühlt.
Als sich Slava, ohne rote Nase, aber mit fliegendem weißem Haar, in unser Videointerview schaltet, bin ich sogar über den Bildschirm hinweg von seiner Aura gefesselt. Positiv, klug und, ja, weise: Schon die ersten Sätze führen mich in meine persönliche „Snowshow“.
Was bedeutet es für Sie, ein Clown zu sein, und wie hat es Ihren Blick auf die Welt verändert?
Es ist schwer zu sagen, hat mein „Clownsein“ meine Sicht geprägt? Oder hat mich meine Sicht zum Clown gemacht? Fest steht: Ich bin es, weil es in mir steckt. Die letzten 20 Jahre habe ich die Definition, was ein Clown ist, stark verschoben und es zu einer Art Lebensausdruck gemacht, der alle Nuancen umfasst, jedes Detail, das zum Leben gehört. Ich habe das erste Mal Clowns in Tieren gesehen, dann habe ich in normalen Leuten auf der Straße Clowns entdeckt – und das hat mich geprägt. Ich habe jetzt diese Einstellung, in der ich das Leben in zwei Teile splitte: den Clown-Part und den ernsten.
Wie zeigt sich diese Trennung in Ihrem Leben?
Mein Bestreben ist es, das Leben bunter zu machen, mit Hilfe von „Clown-Colors“, egal wie ernst die Situation ist.
Was ist das Beste daran, Slava zu sein?
Ich bin ja ein sehr wissenschaftlicher, akademischer Mensch und der selbst ernannte Präsident der „Academy Of Fools“, und im Zuge dessen habe ich während meiner minimalen wissenschaftlichen Recherchen festgestellt, dass der beste Zustand, in dem sich eine Person befinden kann, der ist, in dem sie singt und hüpft.
Dem kann ich nur zustimmen! Fühlen Sie sich mehr in der Realität oder der Fantasie zu Hause?
Ich strebe an, dass es in unserer Welt oder zumindest in meiner Umgebung schwer ist, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Ist Fantasie immer schön oder fröhlich?
Ich möchte nichts hineinlassen, das schwer oder beängstigend ist. Ich gucke keine Horrorfilme und führe keine Unterhaltungen über schwere Themen. Das bedeutet nicht, dass ich mich von der Welt separiere, ganz im Gegenteil, ich bin da und nehme teil. Aber ich bin dort dabei, wo ich etwas ändern, bewegen kann. Meine Konversationen drehen sich um Dinge, die Freude bringen und wo es um kreative Bewegung im Leben geht.
Möchten Sie die Welt verschönern oder neu erfinden?
Es liegt nicht in meiner Macht, die Welt zu verändern. Aber alles, was ich tue oder wo ich für verantwortlich bin, will ich perfekt machen, und dafür fühle ich mich verantwortlich. Alle meine Projekte sehe ich als wichtig, aktuell an, egal, ob ich mit fünf oder 5000 zusammenarbeite – und diese Projekte sollen das Beste in den Menschen zum Vorschein bringen, sowohl bei denen, die mitarbeiten, als auch bei denen, die es dann sehen. Ich möchte die Möglichkeit geben, dass Menschen ihre Essenz finden, ihr wahres Ich und ihre Berufung – nicht, was das Leben ihnen aufzuzwängen versucht.
Ist das der Kern von Glück?
Kreativität ist der Kern, Happiness ist immer Kreativität, nämlich die Fähigkeit, eine Situation zu gestalten. Wenn du zu gestalten beginnst, lernst du deine Persönlichkeit kennen und entdeckst etwas, das vielleicht vorher versteckt war. Und das ist im Grunde der Sinn des Seins, man selbst zu werden. Und es ist einfach ein Fakt, dass Kreativität immer von Lachen begleitet wird. Irgendwie gibt es das nur zusammen.
Wie fühlt es sich an, wenn es nicht klappt, Menschen zu ermuntern?
Ich bin nicht dafür da, andere zu überzeugen oder eine bestimmte Rolle für andere zu übernehmen. Es geht mir nicht darum, wie andere mich sehen, sondern im Grunde zu provozieren, die gleiche Offenheit zu leben, die auch ich pflege. Ich stoße oft ein Projekt an wie die „Academy Of Fools“, und dann sind es viele Menschen, die die Idee weitertragen und entwickeln und sich damit öffnen können. Ich demonstriere nicht, aber ich mache diese kleine Tür auf für die Menschen, damit sie sehen können, was in ihnen steckt.
Also eher eine Plattform als eine Show?
Meine Show ist eine Art Vorbereitung, um meine Vision zu verstehen, und die Möglichkeit einzusteigen.
Welche Rolle spielt Traurigkeit?
Schauen Sie sich meine Bibliothek an: 90 Prozent der Bücher handeln von Glück, Freude, Festen, Karneval. Hier, auf der anderen Seite, habe ich noch Magie und Mystery. Lachen braucht in sich Beauty oder etwas Mysteriöses, sonst ist es unbrauchbar und fesselt dich nicht. Es durchfährt dich vielleicht eine Sekunde, mehr nicht. Alle fünf Jahre widme ich mich dem Thema des Clowns und des Dämons, das ist gefährlich, es kann sein, dass man da nicht wieder rauskommt. Davor habe ich Angst. Aber es ist sehr wichtig, man muss diese Seite auch fühlen, weil Licht und Glück nur wirklich fühlbar sind, wenn man das Gegenteil auch kennt. Diese Gegenteiligkeit ist auch für das Leben wichtig, Lachen hilft, wenn Traurigkeit da ist, und wahres Lachen wird dich auch aus einer Tragödie holen können. Wenn man sich die Biografien der bekanntesten Clowns ansieht, merkt man, wie viele Schwierigkeiten sie durchlebt haben. Sie ziehen es förmlich an. Aber das ist auch so sichtbar, weil sie auf der anderen Seite diese Fröhlichkeit haben. Und das zu kreieren ist der Fokus.
Wie verbinden Sie Humor und Kunst?
Man sieht es doch in jeder Kunst. Ein gutes Beispiel ist mein Lieblingsfilm von Charlie Chaplin, „The Kid“, in dem man ein Waisenkind sieht, das so viel Freude empfindet zusammen mit Chaplin – und wie sie durch dick und dünn gehen. Humor und Tragödie kommen zusammen, so kann man das Leben wie ein Spiel sehen und es spielen, egal wie hart es ist. Das ist eine sehr kraftvolle Position und ein starkes Mindset.
Was kann man als Erwachsener von Kindern lernen?
Sich in das Leben zu verlieben!
Und wieso können Kinder das besser?
Sie sind in einer sehr guten Position, sie brauchen ja nichts anderes zu machen, außer das Leben zu lieben. Schau dir an, wie ein Kind sich über ein Detail freut, dieser Funke! Wenn du deinem Kindheitstraum folgst, wirst du im Glück leben!
Warum gelingt das vielen nicht?
Es passiert einfach, dass Menschen nicht die richtige Orientierung haben und das Kind in ihnen nicht sehen wollen. Sie fokussieren sich nicht auf das, was sie wirklich brauchen. Ein Kind zu bleiben ist ein Job, man muss es aktiv fokussieren.
Es ist also schwerer, ein Kind zu bleiben, anstatt erwachsen zu werden?
Es gibt das Sprichwort: Don’t grow up, it’s a trap.*
Wären Sie gerne wieder ein Kind oder sehnen Sie sich nach der Vergangenheit?
Ich brauche keine Zeitmaschine, ich bin da.
Welche Rolle spielt die visuelle Transformation in Ihrer Arbeit und Ihrem Leben?
Erst mal ist das Wort „Arbeit“ verboten. Mein ganzes Leben ist ein Fest und eine Feier von Kreativität und Aufbau von Verbindungen. Das Erste, was man hier in der Academy machen muss, ist einen neuen Namen annehmen. Du kommst hierher und vergisst dein altes Ich. Transformation ist dann Arbeit – und die startet mit dem Aussehen. So kommst du zum Beispiel zu einem Event hierher und gestaltest dir erst mal Flügel, veränderst dein Haar und wirst Teil der Transformation. Du musst dich befreien von dem, was du gewohnt warst. Du musst suchen und dich neu sehen. Vielleicht willst du ein Vogel oder eine Karotte sein. Erst transformierst du dich, dann die Welt um dich herum und dann die ganze Welt. Mit Kreativität und Kreation hast du die Möglichkeit, auch aus Mechanik etwas Lebendiges zu machen.
Hat jeder dieses Potenzial?
Tausende kommen zu unseren Happenings, und mindestens die Hälfte bekommt das sofort hin. Es ist ansteckend, noch mehr als ein Virus! Neben dir ist jemand glücklich, weil er etwas tut, das ihn erfüllt, und dann möchtest du doch das Gleiche machen.
Wie wichtig ist die Community?
Es hilft natürlich sehr, Menschen um sich zu haben, die es vorleben. Es ist etwas anderes, wenn man es nur mit sich allein ausmacht oder Menschen sieht, die schon eine Transformation hinter sich haben. Wir hatten ein georgisches Festival und wollten, dass alle in einem Look kommen, alle mit Schnurrbärten – das hat schon mal Raum zum Lachen gegeben. Einmal gab es ein Wedding-Event, da kamen 800 Menschen als Bräute und Bräutigam, und sie sind durch Paris zu uns getanzt.
Je größer die Menge, desto größer das Lachen?
Freude funktioniert nur mit anderen Menschen, alleine ist es schwieriger. Schau dir lieber mit 100 Leuten als allein eine Komödie an.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich hoffe, dass alle in Freude leben können. Seit Jahren werde ich gefragt: Was ist das Geheimnis von Glück? Gerade große, oft erfolgreiche Unternehmer verwechseln Erfolg mit Glück und Freude. Man denkt, die müssten doch wissen, was es bedeutet. Es ist wichtig, immer die Balance zu halten, es geht auch um das Gefühl, das man hat, während man am Erfolg oder auf ein Ziel hin arbeitet. Es ist doch wichtig zu sehen: Was muss ich geben, um etwas Bestimmtes zu erreichen? Und wie viel Spaß macht mir das? Wie beeinflusst es mich? Ich habe bemerkt, dass das viel wichtiger ist, als das Ziel zu erreichen: ein Prozess voller Freude! Wenn die Leute hierherkommen, ist das Erste, was ich ihnen sage: Es ist mir egal, was ihr hier macht, Hauptsache, ihr habt Spaß an der Kreation! Das sollte man genießen, sich mit anderen Menschen verbinden. Es gibt natürlich auch sehr talentierte Menschen, die am Ende etwas Wunderbares schaffen, einfach dadurch, wer sie sind. Aber man muss das nicht erzwingen.
Happiness is the journey. Ich hoffe, es macht dir Spaß, einen Weg zu suchen, meine Worte zu verbreiten!
* Werden Sie nicht erwachsen, es ist eine Falle.