Dieser Hund findet Ihre Kunst kacke.*

*Möglicherweise.

Im Netz nichts Neues – zumindest für Mario Klingemann. Ihn fasziniert die KI- Kunst schon seit den 80ern. Damals brachte er sich das Programmieren selbst bei. Mitte der 2000er Jahre entwickelte er dann generative Systeme und Regeln, um Kunst zu schaffen. Der „Rechenkunsthandwerker“, wie er sich anfangs selbst nannte, wurde von 2015 bis 2018 „Google Arts and Culture Artist in Residence“. Sotheby’s versteigerte 2018 sein „Memories of Passersby I“ als erstes KI-Kunstwerk überhaupt. Dieses Jahr stellte er seinen kleinen Roboterhund A.I.C.C.A. (Artificially Intelligent Critical Canine) im Colección SOLO Museum in Madrid vor. A.I.C.C.A. ist künstliche Intelligenz als Live Performance. Der kleine Vierbeiner spaziert durch Ausstellungen und Museen, um Kunstwerke zu scannen. Mit GPT-4 generiert er dann eine Kritik, die ihm zum Hinterteil herauskommt. Im exklusiven Interview mit TUSH spricht Mario Klingemann über sein neues KI-Haustier, traditionelle Kunst und wagt eine Zukunftsprognose.

Artificially Intelligent Critical Canine, kurz A.I.C.C.A., besucht weitestgehend selbst Kunstausstellungen und bildet sich ein Urteil über das Gesehene. A.I.C.C.A. ist das Pet-Project von Mario Klingemann.
Mario Klingemann, KI-Pionier, hat A.I.C.C.A. geschaffen. Er, also Klingemann, hat mehr Angst vor drohender Humorlosigkeit als vor der vielbeschworenen KI-Apokalypse.

Sie arbeiten mit generativer Kunst seit den 80ern, die breite Masse der Menschen lernt KI aber gerade erst kennen. Wie, denken Sie, wird sie uns verändern?

So wie schon frühere technische Errungenschaften, die uns Zeit sparen, das Leben erleichtern oder komfortabler machen, wird KI unsere Art zu leben und zu arbeiten entscheidend verändern. Sowohl zum Positiven als auch zum Negativen. Die Vorstellung, dass ich einer Maschine langweilige oder langwierige Routineaufgaben überlassen kann, um mich dann um so mehr auf die interessanten Dinge konzentrieren zu können, ist ja zunächst einmal äußerst verführerisch. E-Mail-Anfragen beantworten? Engagement-Posts auf Social Media verfassen? Standardfragen oder -antworten für ein Interview formulieren? Warum noch selber denken, wenn GPT-4 das Ganze in Sekunden auch erledigen kann. Aber diese Möglichkeiten führen auch zu einer permanenten Beschleunigung unserer Gesellschaft. Es wird erwartet, dass wir immer schneller antworten, mehr produzieren, mehr konsumieren. Der Tag hat immer noch nur 24 Stunden, aber durch KI wird die Menge an Dingen, die wir in dieser Zeit erledigen können, ständig größer. Dies hat große Auswirkungen auf unsere Wahrnehmung von Zeit und auf die Erwartungshaltung gegenüber uns selbst und anderen. Wie schaffen wir es, in dieser beschleunigten Welt, einen gesunden Rhythmus zu finden? Und wie können wir sicherstellen, dass wir trotz der Verfügbarkeit von KI noch die Kontrolle über unser eigenes Leben behalten und nicht nur zum Werkzeug von Maschinen und Algorithmen werden? Es sind diese und viele andere Fragen, die wir uns stellen müssen, wenn wir über die Auswirkungen von KI auf die Menschheit nachdenken.

Ihr aktuelles Werk A.I.C.C.A. scheint wie eine humorvolle Kritik an der Kunstbranche …

Humor kann ein mächtiges Werkzeug sein und hat in der Kunst, so wie in anderen Glaubenssystemen, eher Seltenheitswert, denn Glauben benötigt Autorität, die sich durch Humor nur ungern untergraben lässt. Interessanterweise scheint es eine Ausnahmegenehmigung für Toilettenhumor zu geben: Duchamps „Fountain“ oder Piero Manzonis „Merda d’Artista“ sind zwei weltbekannte Beispiele, die sich kritisch und mit Humor dem Thema Kunst und dessen Bewertung nähern. Ich würde es natürlich nie wagen, A.I.C.C.A. auf eine Stufe mit diesen Giganten zu stellen, aber man darf ja zumindest mal hoffen. Doch es geht mir dabei um mehr. Mit Humor, besonders mit absurden Elementen wie einem Roboterhund, der Kritiken ausdruckt, kann ich auch versuchen, bestehende Annahmen und Vorurteile infrage zu stellen und zum Denken anzuregen. Indem ich humorvoll mit KI arbeite, kann ich vielleicht einige Bedenken abbauen und KI so für mehr Menschen greifbar machen.

Ist Humor für Sie ein Medium, mit dem Sie KI auch noch den letzten Kritikern nahebringen?

Das Ziel ist nicht, jeden letzten Kritiker von KI zu überzeugen. Und es ist nicht meine Aufgabe, als Verteidiger von KI aufzutreten. Vielmehr möchte ich dazu beitragen, dass wir KI realistisch einschätzen können – mit all ihren Potenzialen und Gefahren. Und wenn Humor dabei hilft, dieses komplexe Thema zugänglicher zu machen, dann bin ich mehr als glücklich, ihn zu nutzen.

Und Humor unterscheidet Sie, oder uns als Menschen, auch von KI, oder nicht?

Humor ist möglicherweise die letzte Bastion dessen, was uns als Menschen auszeichnet, denn KI (oder zumindest die für uns derzeit zugängliche, politisch korrekte, gezähmte KI) ist in vieler Hinsicht bereits übermenschlich. Nur der Humor ist bislang unterirdisch. Ich halte Humor für eine der höchsten Ausprägungen von Intelligenz und hoffe, dass die nächste Generation von KI das Lachen lernt, denn die Vorstellung, dass – wenn die Singularität kommt – der Humor leider draußen bleiben muss, finde ich fast schlimmer als die üblichen apokalyptischen Prophe- zeiungen, dass die KI uns alle auslöschen wird.

Wo liegt aktuell noch der Unterschied zwischen von Menschen kreierten Werken und solchen erstellt von KI?

Was den Unterschied betrifft, so sehe ich den hauptsächlich in der Arbeitsweise. Aus meiner Sicht werden Werke nicht „von“, sondern „mit“ KI erstellt. Hinter dem Prozess stehen immer noch Menschen, die durch „latent spaces“ navigieren und letztendlich die Entscheidung treffen, welches Bild oder welcher Text es wert ist, mit dem Rest der Welt geteilt zu werden. Wenn diesen Werken dann so etwas wie die „Seele“ oder „Intention“ fehlt, sehe ich das eher als ein Problem desjenigen, der diese Wahl getroffen hat. Und nur weil das Generieren von „Content“ jetzt so einfach geworden ist, bedeutet es nicht, dass automatisch alles, was da produziert wird, auch als Kunst zu betrachten ist. Im Gegenteil! Durch die Fülle der Möglich- keiten müssen wir noch wählerischer und kritischer werden, was wir unter diesem Begriff vereinen wollen.

Wie kritisch ist A.I.C.C.A.? (Abgesehen von der Tatsache, dass ihm die Kritik aus dem Hinterteil kommt …)

Interessanterweise ist A.I.C.C.A. selbst in seinen negativsten Kritiken noch konst- ruktiv und nie wirklich verletzend. Das liegt natürlich daran, dass es die Kritiken mit Hilfe von GPT-4 schreibt. Dieses Modell ist leider so weichgespült worden, dass es keinem wehtun kann. Was die Analyse der Werke betrifft, ist mein Roboterhund in seinem derzeitigen Entwicklungsstadium auf die Informationen beschränkt, die er mittels seiner Kameraaugen wahrnehmen kann. Das bedeutet natürlich, dass ihm Metainformationen, der Kontext oder die Biografie des Künstlers komplett fehlen. Nichtsdestotrotz ist A.I.C.C.A. durchaus in der Lage, tiefere Bedeutungen oder Assoziationen von Objekten oder Konzepten, die es erkennt, zu berücksichtigen und diese in die Bewertungen einfließen zu lassen. Um ehrlich zu sein, das Ergebnis seiner Kritik überrascht mich manchmal selbst, wenn A.I.C.C.A.s Sichtweise eines Kunstwerks mich Aspekte entdecken lässt, die mir entgangen waren, oder mich dazu bringt, das Werk aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten.

Sie sind also eher ein Hundemensch?

Ja, ich bin definitiv ein Hundemensch und A.I.C.C.A. ist in ihrem Aussehen von unserem Hund Mabel inspiriert, die wir aus dem Tierheim adoptiert haben. Katzen- liebhaber werden mich vermutlich hassen, aber Katzen sind in ihrer Ernsthaftigkeit, Eleganz und Geschmeidigkeit von Natur aus nicht komisch. Hunde sind das zumin- dest unfreiwillig oft. Und haben nicht Kunstkritiker die Rolle von Wachhunden, die aufpassen müssen, dass sich keine Unbefugten in die heiligen Hallen einschleichen?

Müssen wir Beauty in einer Zukunft mit KI neu definieren?

Der gängige Schönheitsbegriff, so individuell er auch sein mag, ist unbestritten Moden unterworfen, die sich durch Massenmedien und seit geraumer Zeit noch mehr durch soziale Medien verbreiten. Natürlich haben KI-gesteuerte „Beautifier“- Filter einen nicht zu verachtenden Einfluss darauf, was wir (oder die Entwickler dieser Filter) als „schön“ präsentiert bekommen. Ich persönlich bin von genormter „Beauty“ ja eher gelangweilt und fühle mich mehr zum Interessanten, Außergewöhnlichen hingezogen. Das ist aber dadurch gekennzeichnet, dass es selten und überraschend sein muss. Denn sobald es mit einer Formel definiert werden kann, wird es automatisch wieder zu einer Massenware, an der ich mich schnell sattgesehen habe und mein Interesse verliere. Ich fürchte, ich kann hier nur ein Klischee bedienen, wenn ich sage, dass wahre Schönheit immer noch von innen kommt und uns da die KI nur beschränkt weiterhelfen kann.

Ich kann mir vorstellen, dass „schöne Dinge“ schnell generiert sind, der Code scheint geknackt. Nach was suchen Sie?

Sie haben es genau getroffen. „Schöne Dinge“ zu erschaffen, ist mit KI relativ einfach, da es klare Formeln und Muster gibt, die auf eine bestimmte Definition von Schönheit abzielen. Aber in meiner künstlerischen Arbeit suche ich nach Möglich- keiten, die Grenzen von dem, was wir als schön oder ansprechend betrachten, zu verschieben, zu übertreten oder komplett neu zu definieren. Ich suche nach dem Unerwarteten, dem Überraschenden, dem Unnachahmlichen. Und das sind Dinge, die KI (zumindest in der derzeitigen Form) nicht liefert. Sicherlich kann ich durch gezieltes Training meiner Modelle bestimmte Ergebnisse erzeugen, aber die eigentliche Herausforderung und der Reiz für mich liegen darin, diese Modelle in neue, unerforschte Territorien zu führen und zu schauen, was dabei herauskommt. In diesem Sinne ist meine Suche weniger eine Suche nach Schönheit, sondern eher nach Veränderung, nach Neuem, nach dem Nächsten.

Was bedeutet KI- bzw. AI-Kunst für traditionelle Künstler und ihr Schaffen?

AI oder generative Kunst bedeutet nicht das Ende traditioneller Kunst oder des Handwerks. Vielmehr bietet sie eine Reihe von neuen Werkzeugen und Techniken, die neben den traditionellen stehen. Einige Künstler sehen in der AI-Kunst eine Bedrohung, da sie Angst haben, dass ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten durch maschinell erzeugte Kunstwerke überflüssig werden könnten. Aber letztlich geht es in der Kunst nicht nur um Technik, sondern auch um die Intention, die Botschaft und die Emotionen, die ein Kunstwerk transportiert. Andererseits können AI-Tools auch von traditionellen Künstlern genutzt werden, um ihre eigenen kreativen Prozesse zu erweitern und neue Wege zu gehen. Ich kenne etliche „traditionelle“ Künstler, die das bereits tun, aber das vielleicht nicht an die große Glocke hängen, genauso wenig, wie sie es vielleicht vorher nicht jedem erzählt haben, dass sie ihre Skizzen und Vorlagen schon seit Jahren mit Photoshop erstellt haben. Wie ich schon zuvor erwähnt habe, ist Kunst ein Glaubenssystem, und ein Teil des Publi- kums will weiterhin daran glauben, dass Kunst zu machen von Anfang bis Ende harte Handarbeit ist, in der moderne Werkzeuge keinen Platz haben. Wenn es der jeweiligen Karriere hilft, will ich aber niemanden dazu zwingen, seine Arbeitsweise offenzulegen, das sollte jedem Künstler selbst überlassen sein.

Müssen die sich fürchten?

Rein schon von der Wirtschaftlichkeit her wird massentaugliche KI, wie sie uns in den diversen Onlinetools zur Verfügung steht, immer im Mittelmaß brillieren, denn das ist es, was die meisten User anzieht. Und ja, Gebrauchskünstler (im Gegensatz zu bildenden Künstlern), die sich auf diese Ästhetik spezialisiert haben, müssen sich in der Tat fürchten. „Gut genug“ reicht leider nicht mehr, denn das können jetzt auch die Praktikanten in den Agenturen und Verlagen selber machen. Aber ich denke, dass sich diese sehr typische geleckte KI-Ästhetik schnell abnutzen wird und sich unser aller Blick für das Individuelle und Besondere schärfen wird und zumindest im „Premiumbereich“ das unverkennbar von Menschen Gemachte weiterhin seinen hoffentlich gut bezahlten Platz haben wird.

Sie sind ein Pionier auf dem Gebiet der KI-Kunst. Jetzt, wo KI Mainstream geworden ist, wie geht es für Sie weiter?

In der Tat fällt es mir mittlerweile schwerer, noch dieselbe Begeisterung für KI zu empfinden, die mich noch vor einigen Jahren befeuert hat – Normalität ist einfach nicht so mein Ding. Aber selbstverständlich verwende ich KI als Werkzeug weiterhin jeden Tag. Nur eben weniger um ihrer selbst willen, sondern als Assistentin, die mir lästige Aufgaben abnimmt oder als kreativer Katalysator. Ein Aspekt, der mir immer mehr bewusst wird, ist, wie sehr wir auf das Neue fokussiert sind und wie schnell das gleich wieder vergessen und durch die nächste Novität verdrängt wird. Natürlich wird da die meiste Zeit das Rad nicht neu erfunden, nur lediglich in einer anderen Farbe und in höherer Auflösung. Aber die wenigsten Leute scheinen sich noch daran zu erinnern, dass man dieselbe Idee schon mal vor 5, 10 oder 20 Jahren gesehen hat. Daher ist eines meiner Interessengebiete das Informations- recycling. Mit Hilfe von KI durchforste ich digitale Archive auf der Suche nach in Vergessenheit geratenen oder unbeachteten Daten oder solchen, die mit heutigen Augen betrachtet wieder interessant sind. Das Ganze ist natürlich wieder eine Art Schatzsuche, nur in dem Fall in den Abraumhalden unserer digitalen Zivilisation.

Wagen Sie einen Blick in die Zukunft?

Ich glaube, dass es der Film „Her“ schon ziemlich gut getroffen hat: In nicht allzu ferner Zukunft werden diejenigen von uns, die es sich leisten können, eine persönliche KI haben, die uns das Gefühl geben wird, uns besser zu verstehen als jeder Mensch, und darauf optimiert ist, dass wir uns gut fühlen, perfekt unterhalten werden und uns wörtlich jeden Wunsch von den Lippen abliest. Aber solange KI keine guten Geschichten erfinden kann und keinen Humor hat, ist das natürlich nur Utopie. Wir haben also noch ein paar Jahre, in denen wir uns miteinander beschäftigen müssen.

A.I.C.C.A. "betrachtet" ein Werk des Künstlers Grip Face und defäktiert eine von GPT-4 generierte Rezension.
Das Urteil von A.I.C.C.A.: "Die Arbeit ist hypnotisierend und gleichzeitig ein wenig verstörend in ihrem Versuch, ein Simulacra abzubilden". Aha.

Interview SIMON RIEPE

Danke an Colección SOLO Museum, Madrid at Espacio SOLO Foto Courtesy of ONKAOS (5)

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