NEUER ABSCHNITT

EIN SCHLICHTER STRAUSS IST NICHT GENUG: BLUMEN ZU KUNSTOBJEKTEN ZU TRANSFORMIEREN IST EINE BLÜHENDE IDEE FÜR GEGENWART UND ZUKUNFT

Blaue Blume vor roter Pappe
Grüne Blume mit Wäscheklammer
Blume vor Papier
Blume an Stein
Zwei Blumen

Feine Blütenblätter in leuchtenden Farben an elegant-langen Stielen, fragil und grazil – und das für die Ewigkeit. Die Französin Margaux Dereume schneidet, faltet und färbt Papier zu Blumen, nicht als Imitation, sondern Interpretation. „Ich versuche nicht, bestimmte Sorten nachzubauen, sondern abstrahiere bewusst“, erzählt Dereume, die sonst Prints für Textilien designt. Ihre Flora faltet sie in Paris für Events wie Fashion-Shows und Privatkunden. Anstelle von echten fragilen Gestecken lassen immer mehr Brands Kunstblumen sprießen. „Aufgrund des Klimawandels wird es ja auch immer ‚komplizierter‘, natürliche Blumen zu nutzen – idealerweise werden sie seltener gekauft, dafür in besserer Qualität und aus lokalem Anbau“, erklärt Dereume einen Beweggrund für den Run auf ihre Kunst.

Dazu nur ein ganz kleiner Schlenker zum ökologischen Fußabdruck der natürlichen Deko: Allein für den Betrieb einer einzigen kenianischen Rosenfarm – das Land gilt als einer der Hauptexporteure für die dornige Floristik – braucht es täglich so viel Wasser, wie in acht olympische Pools passen. Auch Dünger

und Transportwege machen natürliche Bouquets zu weniger ökologisch sinn- vollen Optionen. Die Niederlande, der größte Blumenexporteur, beheizt – nur ein Aspekt – die Gewächshäuser, der CO2-Ausstoß pro Blume ist noch höher als der der eingeflogenen kenianischen Rosen.

Das „Slow-Flower-Movement“, vergleichbar mit der Food-Version, ent- wickelt sich dem Namen entsprechend langsam. Wenn der Boden die Gewächse diktiert, Schnecken und Schnee beispielsweise nicht mitspielen, ist die Ernte gering. Das mag für die heimische Dinner-Table-Deko tragbar sein, für Events von Muttertag bis Fashion-Week erweist es sich als suboptimal.

Dereumes Blüten bleiben. Und stillen neben der Sehnsucht nach Nachhaltig- keit auch das Verlangen nach Individualität, weil Farben und Formen nicht von der Natur vorgegeben sind. Stil und Geschmack diktieren die Blütenpracht. „Ich plane, bald Deadstock und recyceltes Papier zu nutzen“, so Dereume.

Die Amerikanerin Sophie Parker schaut anders aufs Beet: Sie verfremdet Blätter und Blüten mit popartiger Bemalung, schneidet und drapiert sie zu neuen Formen, bis die Pflanzen zu Skulpturen werden. Sie nutzt sowohl echte als auch künstliche Gewächse als Canvas.

Oft sind es schlichte Sorten wie Farn oder Monstera, auf denen die Künstlerin ihre starken Farben setzt – und dann auf Fashion-Events, in Restaurants oder Beauty-Salons platziert. „Ich bin eigentlich Malerin und verfremde die Textur und Farbe der Pflanze und setze sie in eine neue Umgebung“, erklärt sie. „Natürlich und künstlich, diese Spannung steckt in uns allen. Außerdem will ich die Grenzen zwischen organisch und handgemacht verwischen.“ Auch ihre Inszenierungen halten mehrere Tage durch, ohne zu verblassen.

In Los Angeles verwandelt Kristen Alpaugh Blüten in extreme glamouröse Objekte, die schon fast wie 3D-generierte Blumen wirken. Irithurium, irisierende

„Flamingo-Pflanzen“, nennt die Amerikanerin ihre berühmteste Kreation, die sie zum Patent angemeldet hat. Erst 2019 begann sie, mit der Farbe auf Blättern zu experimentieren, „Ich wollte so etwas wie der Willy Wonka der Blumen sein“, erklärt sie. Zu den Fans ihrer übernatürlichen Interpretationen gehört unter anderem Katy Perry. Alpaugh stattet Stars, Shoots und Shows aus, aber auch Privatkunden. Minimum drei Wochen bleibt ein Strauch Irithurium frisch – lässt sich aber ebenso unendlich konservieren und trocknen, Alpaugh liefert die Info mit in den kunstvoll verhüllten Boxen.

Was offensichtlich ist: Pflanzen sind vielen ans Herz gewachsen, die Sehn- sucht nach neuen Arten lässt uns nicht in der Wildnis, sondern in der eigenen Vorstellung suchen – was heute vielleicht nur im Kreativ- oder Modekontext auftaucht, blüht uns dann doch bald auf dem heimischen Dinnertisch.

FIN

Text LAURA DUNKELMANN

Papierblüten MARGAUX DEREUME

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