Neuer Blickwinkel

Die Kalender der italienischen Kaffee-Marke Lavazza sind ikonisch: Die größten und wichtigsten Fotografen inszenieren jedes Jahr eine neue Vision rund um Nachhaltigkeit.

2021 wird aber anders: Es sind 13 Fotografen und damit auch ein neuer Stil für jeden Monat – dennoch fokussieren alle ein Thema: The New Humanity.

Neben Steve McCurry, David La Chapelle und TOILETPAPER ist auch der Deutsche Martin Schöller unter den Fotografen – bekannt für Celebrity-Portraits von Barack Obama bis Taylor Swift. Richtete er seine Kamera aber nur auf Augen – ein neuer Blickwinkel für den Künstler und alle Betrachter.

1000 Kalender sind unter Lavazza zu ersteigern

Das Titelbild des Lavazza Kalenders 2021

Inwiefern spiegeln deine Portraits den Zeitgeist wider?

Ich fotografiere seit 25 Jahren und ich könnte nicht dankbarer sein, dass ich immer noch Aufträge bekomme, bei denen ich meinem Stil treu bleiben kann. Ich habe es nie abgesehen, dass die Portraits eine solche Langzeitwirkung haben würden. Ich hoffe, dass man sich die Fotos in 50 Jahren anguckt, und sie einem immer noch modern vorkommen.

Die Portraits sind sehr reduziert. Sie müssen nicht Trend sein.
Momentan fotografieren viele Fotografen in sehr extremen Farben: ganz rote Portraits und ganz grüne Highlights, die Schatten sind dann plötzlich blau. Dies war auch modern, als ich in den 90er Jahren anfing, bis es sich dann wieder verloren hat. Jetzt kommen die knalligen Farben wieder.

Hattest du mal das Gefühl du müsstest etwas völlig anderes machen?

Ich habe viele verschiedene Fotos, Close-Ups sind auch nur ein Teil meiner Arbeit. Ich habe mit einer 8×10 Inch Kamera 66 professionelle Bodybuilderinnen fotografiert, ich arbeite gerade an einer Serie mit Drag Queens, und es gibt natürlich meine konzeptionellen Portraits, die mehr Ideen-getrieben sind.

Meine Portraits haben mit den anderen Fotos visuell gar nicht so viel zu tun. Aber genau das macht es für mich spannend. Diese Unterschiede, die Diversity.

Wie hat sich die aktuelle Situation auf deine Fotografie oder auf deine Vision als Fotograf ausgewirkt. Klar, du fotografierst auch Menschen mit Masken, aber hast sich dein Mindset oder deine Herangehensweise in gewisser Weise verändert?

 Es hat sich sehr viel verändert. Plötzlich wurden alle Jobs abgesagt, was natürlich die erste große Veränderung war. Dann habe ich angefangen mit kleineren Teams zu fotografieren sowie draußen zu fotografieren. Jetzt sehen wir wie es weiter geht.

Hast du auch einen Unterschied in den Menschen gesehen? Wenn man so viel fotografiert und so viele unterschiedliche Charaktere vor der Linse hatte, hat man sicherlich ein Gespür für Stimmung…

 Ich habe das Gefühl, dass viele Leute noch einsamer als vorher sind, weil sie jetzt wirklich nur noch den ganzen Tag am Computer oder am Telefon hängen. Es gibt weniger Möglichkeiten zur Kommunikation. Und ich spüre auch Angst. Die hat sich mittlerweile ein wenig gelegt, anfangs war sie enorm. Das führt natürlich auch zu einer gewissen Anspannung und Nervosität. Aber ich habe das Gefühl, jetzt geht ein wenig bergauf.

Das Foto von Martin Schoeller für den Lavazza Kalender 2021

Ist es für dich genauso „leicht“ oder „schwer“ wie vorher, die Leute einzufangen? Oder möchtest du es gar nicht verändern, und hinnehmen, wie es eben ist?

Ich denke, wenn man sich mit der Person hinsetzt, sich unterhält und Vertrauen entsteht, dann vergisst man auch schnell das tägliche Leben. Es ist allerdings schon sehr merkwürdig, sich mit einer Maske zu unterhalten. Man schaut und achtet eigentlich genau so viel auf die Lippen des Gegenübers, wie in die Augen, auch um Lippen zu lesen. Aber für Lavazza habe ich mich jetzt auf die Augen konzentriert – so ist ja jetzt eben die Lage.

Also würdest du dem Sprichwort „Blicke sagen mehr als 1000 Wort“ nicht zustimmen?

 Ich glaube in den Blick würde ich den Mund auch mit einbeziehen. Ein kleines Schmunzeln ist auch sehr wichtig. Es geht um das ganze Gesicht, nicht nur den Blick der Augen. Zumindest, wenn wir die Wahl haben.

 Kannst du etwas über dein Projekt mit Lavazza erzählen? Wie fühlt es sich an, was bedeutet dir das Projekt?

 Für Marken wie Lavazza zu arbeiten ist einfach toll, weil sie in Familienbesitz sind. Sie sind sehr darauf bedacht, dass jeder, der an der Kaffeeproduktion teilhat – sei es der Kaffeebauer in Südamerika – seinen fairen Anteil bekommt. Sie behandeln ihre Zulieferer sehr fair. Ein richtig gutes Vorbild. Ich habe schon mal einen ganzen Kalender fotografiert, vor ein paar Jahren – und dieses Jahr wurde ich gefragt, ob ich eine Seite für den 2021 Kalender machen könne. Ich habe mich bei dem Projekt komplett auf die Augen konzentriert, eben weil jetzt alle Masken tragen. Und Augen sind ein Organ, das wir alle haben, das bei uns allen den gleichen Zweck erfüllt, das allerdings trotzdem so unterschiedlich sein kann. Auf der einen Seite zeigt es uns die gemeinsame humanity, auf der anderen Seite zeigt es, wie individuell wir sind.

Was macht Schönheit für dich aus?

Definitiv Authentizität. Ich bin ja kein Modefotograf. Das Aussehen ist bei mir eher ein demokratischer Ansatzpunkt. Es können alle Obdachlosen sein, die vorbeikommen oder professionelle weibliche Bodybuilder oder Leute die zum Tode verurteilt waren und für unschuldig befunden wurden. Es geht um die individuelle Geschichte.

Gab es eine Person oder ein Objekt, die/ das dich total überrascht hat – im positiven Sinne?

Das kommt öfters vor. Barack Obama war genauso, wie man sich ihn vorstellt und wie man sich ihn wünscht. Angela Merkel ist viel lustiger, als man denken würde. Ich als Fotograf bin währenddessen auch ein wenig angespannt. Man ist immer nur so gut, wie sein letztes Foto. Dementsprechend hat man wenig Zeit zum Reden, im Sinne einer tiefgreifenden Unterhaltung.

Also bist du immer noch aufgeregt?

Ja, na klar. Ich zeige es nicht, aber bin schon sehr aufgeregt.

Gibt es etwas das du gerne fotografieren würdest, bisher aber noch nicht konntest?

Ich hätte liebend gerne Nelson Mandela fotografiert. Ich habe es probiert, angeboten ihn zu fotografieren, der Verkauf und der Erlös der Fotos würde an seine Organisation gehen. Das hat leider nicht geklappt. Nummer Eins auf meiner derzeitigen Liste ist nun der Papst.

[Text]
Laura Dunkelmann
November 17, 2020
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