WIE RIECHT META?

 

Unsere Welt, eine Schnittstelle zwischen Wirklichkeit und virtuellem Raum – ein Ort, an dem alles möglich erscheint. Virtuose computergenerierte Kompositionen verführen Ohren und Augen, elegante mehrdimensionale Digitalversionen optimieren das sinnliche Ertasten. Willkommen im Metaverse. Die Naht zwischen real und virtuell – kaum noch wahrnehmbar. Frappierend. Doch wo bleibt bei aller Verschmelzung von Biologie und Technik eigentlich der Duft? Riecht das Metaverse?

Und wenn, wonach?

Das Riechen. Eine Fähigkeit, die es uns ermöglicht zu kommunizieren, zu interpretieren, zu kommentieren und schließlich zu erkennen. Und das auf einer unfassbar schwer messbaren Bandbreite. Eine Art der Kommunikation, bei der verschiedene Rezeptoren Signale senden, empfangen und dann als Gesamtbild Sinn ergeben. Oder wie es die Neurobiologin Leslie B. Vosshall von der Rockefeller University in New York zusammenfasste: „Menschen erkennen Gerüche dadurch, dass sie Luft inhalieren, die Odeur-Moleküle beinhalten, die dann an Rezeptoren in der Nase gebunden werden und mit dem Gehirn kommunizieren. Das Verständnis dafür, wie diese komplexen Informationen in Düften verarbeitet werden oder die Erinnerung daran, gibt einen Einblick, wie das menschliche Hirn funktioniert.“ Nämlich wie ein Megacomputer, dessen Festplatte uns immer wieder bekannte Dinge zeigt, sobald wir eine Art Code eingeben – und dieser dringt in diesem Fall eben durch unsere Nase. Mit einem Atemzug, im Vorübergehen. Und manchmal leicht verweht.

Genauso ergeht es unseren Sinnen oder zumindest deren Sensibilität. Denn zwischen Überstimulation und Unterforderung sollen diese mittlerweile derart degeneriert sein, dass wir vermutlich gar keine Ahnung von den Duftwelten haben, die uns wirklich umgeben. Die Intensität von geröstetem Kaffee, der exzessive Schwall eines sportlichen Duftes, der uns im Vorübergehen den Atem raubt einerseits. Dazu permanent eingehüllt von Großstadtsmog, Abgasen und den unterschiedlichsten Essensaromen. Fragt man den Wissenschaftler und Architekten Andreas Grüner, so führt erst die Summe der unterschiedlichsten Sinnesreize zu einer Atmosphäre, die wir mit Gefühlen und Emotionen unterlegen und aus denen unsere mehrdimensionalen Eindrücke entstehen. Und wieder verblassen. „Von den meisten Sinneseindrücken gibt es keine Spuren mehr, sie sind im Lauf der Jahrtausende für immer vergangen. Dazu kommt, dass die Fülle der Sinneseindrücke kaum objektiv fassbar ist; wir wissen zum Beispiel nicht sicher, wie ein bestimmter Geruch von einer antiken Nase beurteilt wurde“, so Professor Grüner in dem 2019 veröffentlichten Buch „Bauen mit Sinn“, in dem er sich u. a. mit einer archäologischen Urbanistik der Sinne und der Akustik und dem Geruch im antiken Rom beschäftigt.

Bevor uns der Geruch abhandenkommt – wieso ihn also nicht konservieren? Und zwar da, wo im technischen Zeitalter alles gespeichert wird – in der Cloud oder alsbald im Metaverse. Doch wie lebendig kann ein Duft sein, wie komplex seine unterschiedlichen Noten, wenn der Raum, in dem er lebt, ein doch so technisches Bauwerk aus Einsen, Nullen und Serverfarmen ist? Wie genau riecht also dieses Metaversum? Und noch mehr: Kann es uns die abhanden gekommene olfaktorische Sensibilität vielleicht sogar zurückbringen?

Wie zukunftstauglich diese Vision sein kann, beschäftigt das schwedische Telekommunikationsunternehmen Ericsson, das mit 6G das Konzept „Internet of Senses“ (IoS) prophezeit. „Das IoS dreht sich darum, das Gehirn als Schnittstelle zu nutzen, um kognitive Eindrücke mit den Usern auszutauschen. Das ausgefeilte Netzwerk würde die Grenzen zwischen den physischen und digitalen Erfahrungen verwischen und mithilfe der Technologie den Input der Gedanken als Sinnesausdrücke wiedergeben – ohne weitere Anstrengung“, so die Idee der Visionäre, die das IoS für eine mögliche Realität im Jahre 2030 halten.

Artwork aus der Serie "Metasynaesthetics" AIDA BIELEFELD, 2023

Für Experten auf dem Gebiet der synthetischen Realität, die es meisterhaft verstehen, das Reale mit dem Digitalen zu bereichern, scheint das keine Unmöglichkeit mehr zu sein. Erweiterte Realität, also Augmented Reality, kurz AR, sei Dank. Ein Prozess, bei dem ein zusätzlicher Layer, eine weitere Ebene oder Dimension hinzugefügt wird. Wie 6G, das versucht, die Vision des „Internet of Senses“ erlebbar zu machen, mit all unseren sensorischen Anknüpfungspunkten: erlebbar mit den Augen, Ohren, Händen, Mündern und Nasen. Innovatoren bei Estée Lauder, Gucci oder Sephora beispielsweise versuchten bereits, mithilfe von AR Bildwelten zu kreieren, die als Assoziationsgrundlage für den fertigen Duft dienen sollen – doch kann das reichen? Hannah Johnson, Creative Strategy Lead der Firma Snapchat, die sich schon lange mit digitalen Schnittstellen zwischen dem virtuellen und dem greifbaren Raum auseinandersetzt, sieht darin Potenzial: „Parfümhersteller:innen stehen vor einer besonderen Herausforderung, wenn es darum geht, den Duft und seinen Geruch digital erlebbar zu machen. Wir glauben, dass Augmented Reality der perfekte Weg ist, das Gefühl, das ein bestimmter Geruch in uns hervorruft, zu vermitteln. AR gibt uns die Möglichkeit, virtuelle Welten zu schaffen, in die wir eintauchen und uns von ihnen verzaubern lassen können.“

Und auch bei der Herstellung wird trotz der Tradition des Handwerks schon lange auf Technologie oder die Hilfe von metamäßigen Schnittstellen gesetzt. Eins dieser Verfahren ist „ScentTrek“, eine Headspace- Technologie vom weltweit führenden Aroma- und Dufthersteller Givaudan entwickelt und unter anderem von der Schweizer Duftkreateurin Sonia Constant, Gründerin des Labels Ella K, verwendet. Die Technologie von „ScentTrek“ ermöglicht es, subtile und kaum wahrnehmbare Moleküle der natürlichen Umgebungen einzufangen, ohne den Planeten zu schädigen. Ein Gerät, das alle Komponenten enthüllt, die einen Duft einzigartig machen: den Boden, die Luft, die umgebende Flora und Fauna und unzählige andere Nuancen. Es kann jedes einzelne Molekül identifizieren, selbst in Mengen von nur einem Milliardstel Gramm. So gelingt es Sonia Constant, in Kombination mit ihrer Sensibilität für Gerüche, außergewöhnliche Aromen aufzuspüren, sie zu entschlüsseln und wie eine Formel in ihrem Gedächtnis zu speichern. Um sie dann, wie es das Kunsthandwerk der Parfümeure verlangt, zu neuartigen Kreationen zu kombinieren – und dabei Gedanken, Bilder, Stimmungen und Emotionen in erlebbare Nuancen zu übersetzen. Wie ein menschlicher Computer: „Ich bin ein sehr synästhetischer Mensch, das heißt, ich habe die Gabe, alles, was mir begegnet, in Duft umzuwandeln, sodass ich mir gut vorstellen kann, die Synästhesie umgekehrt zu nutzen, um die anderen Sinne zu fördern. Diese Polysensibilität würde den Geruchssinn ersetzen.“ Wie man Duft im Metaverse wiedergeben kann, sei für sie eine philosophische Überlegung: „Warum eine virtuelle Welt schaffen, anstatt die reale zu verbessern?“

Der nächste Schritt auf dem Weg zur Erschließung unseres Universums wird vermutlich das Bändigen oder sogar Bezähmen des Duftes sein. Im Sinne einer Aneignung seiner transzendenten Eigenschaften, die uns luftartig umgeben und nicht greifbar sind. Analog zu Datenströmen und zum digitalen Raum – unfassbar und zu einem gewissen Grad unbegreiflich. Google versuchte es bereits im Jahre 2013, als es die Idee der „Google Nose“ verbreitete. Der fiktive Launch (tatsächlich ein Aprilscherz) des revolutionären Such-Tools sollte es seinen Nutzer:innen erlauben, nach Gerüchen zu suchen. Statt also nur über Dinge zu lesen oder sie visuell zu erleben, wäre es auch möglich, darin einzutauchen und uns ihnen auf einer emotionalen Ebene zu nähern; sie auf diese Art und Weise ganz anders zu verstehen und erleben zu können. Eine Idee, die bereits 1939 vom Schweizer Erfinder Hans Laube als „Smell-O- Vision“  vorgestellt wurde: die Verbindung von Kino und Geruch. Die Premiere des Films „The Scent of Mystery“ (1960), bei dem die Technologie in Form des „Smell Brains“ olfaktorische Reize passend zur Handlung verteilen sollte, scheiterte jedoch. Sie gerieten out-of-sync. Wie beim Soundtrack sind Balance, Zusammensetzung und Timing auch bei jedem Parfüm (digital oder real) entscheidend.

Es bleibt unbestritten: Geruch hinterlässt Spuren, in Form von Erinnerungen, deren Gefühle unterbewusst durch Reize (immer wieder) hervorgerufen werden können. Oder eben bewusst durch den entscheidenden Mausklick. So könnten Meta(ebenen), kaum greifbar, mit der Kraft des Geruchs fühlbar werden. Sich auf eine Art erschließen, die keine Worte benötigt. Die Überzeugungskraft des Duftes, das psychologische Aphrodisiakum, hat die Macht, Erinnerungen und Emotionen wiederzuerwecken. Bestätigt Kate Fox, Sozialanthropologin und Co-Direktorin des Social Issues Research Center in Oxford: „Unser Geruchssinn ist direkt mit unseren Emotionen verbunden und löst sehr starke und tief sitzende emotionale Reaktionen aus. Diese zusätzliche Dimension des Internets erweitert das Onlineerlebnis um die entscheidende dritte Dimension.“

Eine Erweiterung, die bereits um die Jahrtausendwende praktische Umsetzung erfahren hat. Indem das amerikanische Unternehmen TriSenx zum Beispiel mit einer patentierten Technologie namens „Sensory Enhanced Net eXperience“ Gerüche mithilfe von einem Drucker mit verschiedenen Duftkartuschen riechbar machte. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte der „iSmell Personal Scent Synthesizer“des kalifornischen Unternehmens Digi-Scents Inc. Auch hier wird durch ein Kartuschen-beinhaltendes Tool der Geruch durch den Computer transferiert. Dafür wurden mehr als tausend Stoffe gelistet, die dann als Code in eine digitale Datei übersetzt werden, die bei Mausklick aktiviert wird.

Der Reiz des Riechens hat längst die räumlichen Schwellen überschritten undwird zu einem weiteren Aspekt in unserer Mixed Reality, in der das Metaverse wie ein Kind lernt und sich von Screen-based zu Sense-based weiterentwickelt. Wir synchronisieren also unsere Sinne und befördern das komplexe konzeptuelle System der Düfte in eine Technologie, die uns erlaubt, multisensorisch und über unsere Körper hinaus zu existieren. „Das Schöne an der kreativen Herstellung eines Parfüms ist seine Fähigkeit, Sprache, Kultur- und Geschlechtergrenzen zu überwinden. Wir können eine ganze Geschichte mithilfe der universellen Sprache des Duftes vermitteln“, erklärt Janelle Donnelly, Geschäftsführerin von MetaScent, dem australischen Duftstudio im Herzen Melbournes. Das Ziel: authentische Erfahrungen zu schaffen, die tief berühren.

Der olfaktorische Aspekt wird ein weiterer Layer, der uns umgibt und eine Schnittstelle zur Wirklichkeit herstellt: Mithilfe der NFT-Technologie kreiert beispielsweise die Marke Byredo individuell anpassbare digitale NFT-Düfte, die sie als tragbare Aura beschreibt. „Gefühle“, mit denen sich der Avatar im Metaverse ausstatten kann. Auch hier wird wie in der Realität mit dem Prinzip des Layerings gearbeitet. Denn egal, ob es wie bei der NFT-Technologie eine Aneinanderreihung von Blockchains ist oder beim Auftragen auf die Symbiose verschiedener Parfüme gesetzt wird, die Summe macht das aus, was am Ende erfahren wird – digital über Sinneseindrücke oder über die Rezeptoren unserer Nase.

Die Zukunft ist multisensorisch. Das steht außer Frage. Denn das „Internet of Senses“ ist nicht mehr nur eine wahnwitzige Vorstellung. Unser Hirn wird als eine Art „Brain-Computer-Interface“ genutzt werden, um unsere sensorischen Nervensysteme zu steuern. Bestenfalls mit Stimulationen etwa, die den Geruchslosen das Riechen ermöglichen könnten. „Wenn real bedeutet zu fühlen, riechen, schmecken und sehen, dann ist real nichts anderes als elektrische Signale, die von deinem Gehirn interpretiert werden“, wusste schon Neo in Matrix. Duft wird das Metaversum erobern. Während wir uns in Zukunft häufiger fragen werden, in welchem Odeur wir uns heute gänzlich versenken wollen, bleibt es weiter spannend. Denn das Duftempfinden behält sich stets einen subjektiven und individuellen Ton vor. Was der eine als immersiv empfindet, könnte den nächsten tatsächlich vollkommen kalt lassen.

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